Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel
Aus MosaPedia
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(→Magdeburg - 14. Historie) |
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== Druckgeschichte == | == Druckgeschichte == | ||
=== Entstehung === | === Entstehung === | ||
- | Der vollständige Titel des in mittelniederdeutscher Sprache verfassten Volksbuchs lautet ''Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel geborē vß dem land zů Brunßwick. Wie er sein leben volbracht hatt .xcvi. seiner geschichten'' ("Ein kurzweiliges Lesen von Till Eulenspiegel, geboren aus dem Land zu [[Braunschweig]], wie er sein Leben verbracht hat. 96 seiner Geschichten"). Es erschien zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Druckerei von Hans Grüninger in [[Straßburg]]; das genaue Jahr ist nicht bekannt (wohl um 1510/11), die älteste erhaltene Auflage stammt von 1515. Ebenfalls unbekannt ist der Verfasser. Es kommen hierfür sowohl Autoren aus der Gegend von Braunschweig in Frage (Hermann Bote, Hieronymus Brunschwig), als auch solche aus dem Umfeld der Druckerei, inklusive des Druckers selbst (Hans Grüninger, Hermann Buschius, Johannes Adelphus und andere); ohne weiteres denkbar ist auch eine Co-Verfasserschaft mehrerer Autoren. | + | Der vollständige Titel des in mittelniederdeutscher Sprache verfassten Volksbuchs lautet ''Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel geborē vß dem land zů Brunßwick. Wie er sein leben volbracht hatt .xcvi. seiner geschichten'' ("Ein kurzweiliges Lesen von Till Eulenspiegel, geboren aus dem Land zu [[Braunschweig]], wie er sein Leben verbracht hat. 96 seiner Geschichten"). Es erschien zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Druckerei von Hans Grüninger in [[Straßburg]]; das genaue Jahr ist nicht bekannt (wohl um 1510/11), die älteste erhaltene Auflage stammt von 1515. |
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+ | Ebenfalls unbekannt ist der Verfasser. Es kommen hierfür sowohl Autoren aus der Gegend von Braunschweig in Frage (Hermann Bote, Hieronymus Brunschwig), als auch solche aus dem Umfeld der Druckerei, inklusive des Druckers selbst (Thomas Murner, Hans Grüninger, Hermann Buschius, Johannes Adelphus und andere); ohne weiteres denkbar ist auch eine Co-Verfasserschaft mehrerer Autoren oder eine Überarbeitung des Manuskripts eines Hauptautors durch einen oder mehrere Redakteure. | ||
=== Aufbau === | === Aufbau === | ||
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[[Datei:Pfaff kalenberg.png|rechts|miniatur|350px|Der Pfaffe von Kalenberg im Federkleid am Donauufer.]] | [[Datei:Pfaff kalenberg.png|rechts|miniatur|350px|Der Pfaffe von Kalenberg im Federkleid am Donauufer.]] | ||
=== Querverbindungen === | === Querverbindungen === | ||
- | Eulenspiegel-Streiche, die auch mit anderen Figuren, früheren wie späteren, verknüpft werden, sind z.B.: | + | [[Eulenspiegel]]-Streiche, die auch mit anderen Figuren, früheren wie späteren, verknüpft werden, sind z.B.: |
*die ''8. Historie'', in der er Hühner an kreuzweise verknüpften Stricken fängt (vgl. [[Max und Moritz]], diese beiden, und die arme Witwe Bolte) | *die ''8. Historie'', in der er Hühner an kreuzweise verknüpften Stricken fängt (vgl. [[Max und Moritz]], diese beiden, und die arme Witwe Bolte) | ||
*die ''[[#Magdeburg - 14. Historie|14. Historie]]'', in der er die Schaulustigen verhöhnt, weil sie glaubten, er könne fliegen (vgl. die spätmittelalterliche Witzesammlung ''Facetiae'' von Poggio Bracciolini, entstanden zwischen 1438 und 1452, Anekdote 49, wo die Szene in [[Bologna]] spielt, oder den ''Pfaffen von Kalenberg'', Verse 423ff, wo der Pfaffe behauptet, er könne über die [[Donau]] fliegen, um die neugierigen Bauern mit seinem alten Wein abzufüllen, nur um sie dann auszulachen) | *die ''[[#Magdeburg - 14. Historie|14. Historie]]'', in der er die Schaulustigen verhöhnt, weil sie glaubten, er könne fliegen (vgl. die spätmittelalterliche Witzesammlung ''Facetiae'' von Poggio Bracciolini, entstanden zwischen 1438 und 1452, Anekdote 49, wo die Szene in [[Bologna]] spielt, oder den ''Pfaffen von Kalenberg'', Verse 423ff, wo der Pfaffe behauptet, er könne über die [[Donau]] fliegen, um die neugierigen Bauern mit seinem alten Wein abzufüllen, nur um sie dann auszulachen) | ||
+ | *die ''17. Historie'', in der er den Insassen eines Spitals weismacht, er werde den Kränkesten von ihnen zu einem Pulver verarbeiten, mit dem die anderen geheilt würden, worauf alle Lahmen plötzlich laufen können (vgl. [[Hans Wursts Behandlungsmethoden]], insbesondere die Drohung, den [[Ritter von Sülzner]] mit [[Schießpulver]] in die [[Elementar-explosivische Schwitzkur|Luft zu jagen]]) | ||
*die ''[[#Marburg und die Ahnengalerie - 27. Historie|27. Historie]]'', in der sich nur eine Törin zu sagen traut, dass er gar nichts gemalt hat (vgl. ''[[Des Kaisers neue Kleider]]'') | *die ''[[#Marburg und die Ahnengalerie - 27. Historie|27. Historie]]'', in der sich nur eine Törin zu sagen traut, dass er gar nichts gemalt hat (vgl. ''[[Des Kaisers neue Kleider]]'') | ||
*die ''28. Historie'', in der er vor einem Gremium von missgünstigen Gelehrten Fragen zur Erde und zum Weltall beantwortet (vgl. [[Hodscha Nasreddin]]) | *die ''28. Historie'', in der er vor einem Gremium von missgünstigen Gelehrten Fragen zur Erde und zum Weltall beantwortet (vgl. [[Hodscha Nasreddin]]) | ||
- | *die ''32. Historie'', in der er einen Steg manipuliert, so dass seine Verfolger in den Burggraben purzeln (vgl. erneut [[Max und Moritz]], gar nicht träge, diesmal vs. Meister Böck) | + | *die ''[[#Nürnberg und die Stadtwächter - 32. Historie|32. Historie]]'', in der er einen Steg manipuliert, so dass seine Verfolger in den Burggraben purzeln (vgl. erneut [[Max und Moritz]], gar nicht träge, diesmal vs. Meister Böck) |
*die ''80. Historie'', in der er mit dem Klang von Geld bezahlt (vgl. erneut [[Hodscha Nasreddin]]) | *die ''80. Historie'', in der er mit dem Klang von Geld bezahlt (vgl. erneut [[Hodscha Nasreddin]]) | ||
- | Die ''[[#Marburg und die Ahnengalerie - 27. Historie|27. Historie]]'' (Ahnengalerie in [[Marburg]]), ''28. Historie'' (Gelehrtenwettstreit in [[Prag]]), ''[[#Erfurt und der Esel - 29. Historie|29. Historie]]'' ([[Lese-Esel]] in [[Erfurt]]) und ''[[#Bayerisches Dorf (eigentlich: Pommern) - 31. Historie|31. Historie]]'' (Spendenpredigt) sind offenbar alle dem ''Pfaffen Amis'' entlehnt | + | Die ''17. Historie'' (Wunderheilung in [[Nürnberg]]), ''[[#Marburg und die Ahnengalerie - 27. Historie|27. Historie]]'' (Ahnengalerie in [[Marburg]]), ''28. Historie'' (Gelehrtenwettstreit in [[Prag]]), ''[[#Erfurt und der Esel - 29. Historie|29. Historie]]'' ([[Lese-Esel]] in [[Erfurt]]) und ''[[#Bayerisches Dorf (eigentlich: Pommern) - 31. Historie|31. Historie]]'' (Spendenpredigt) sind offenbar alle dem ''Pfaffen Amis'' entlehnt. |
=== Übertragungen === | === Übertragungen === | ||
- | Übertragungen des Volksbuchs ins Neuhochdeutsche, oft verknüpft mit einer gewissen Überarbeitung, gibt es reichlich. Es ist daher nicht | + | Übertragungen des Volksbuchs ins Neuhochdeutsche, oft verknüpft mit einer gewissen Überarbeitung und erweitert um zusätzliche, später entstandene Eulenspiegelstreiche, gibt es reichlich. Es ist daher nicht ohne weiteres festzustellen, welche von ihnen bei der Umsetzung des Stoffs im MOSAIK genutzt wurde. Bei der [[Fanfiction]]-Geschichte ''[[Die Abrafaxe, und wie Eulenspiegel vorgab, dass er zu Magdeburg von der Laube fliegen wollte]]'' hat die Auswahl von Eulenspiegel-Geschichten aus den ''Magdeburger Sagen'' von Otto Fuhlrott zugrundegelegen. Für den Roman ''[[Der König der Spaßmacher]]'' wurde die ''Reclam''-Ausgabe von Günter Jäckel benutzt. |
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+ | Hier im Artikel wird die Übertragung von Siegfried H. Sichtermann aus dem ''Insel-Verlag'' als Vergleich herangezogen. | ||
== Eulenspiegel in der Runkel- und der Adria-Serie == | == Eulenspiegel in der Runkel- und der Adria-Serie == | ||
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Er sprach zů yn mit worten lind. | Er sprach zů yn mit worten lind. | ||
nůn loset an yr lieben kyndt. | nůn loset an yr lieben kyndt. | ||
- | Ee das ich flüg so | + | Ee das ich flüg so veriehen myr |
solich wunder wo sacht ir | solich wunder wo sacht ir | ||
Das eyn mensch ye gefolgen hat | Das eyn mensch ye gefolgen hat | ||
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Mit hübschen Worten fing er an | Mit hübschen Worten fing er an | ||
und sprach zu ihnen mit sanften Worten: | und sprach zu ihnen mit sanften Worten: | ||
- | "Nun | + | "Nun erklärt mir, ihr lieben Kinder. |
- | Bevor ich nun fliege, so | + | Bevor ich nun fliege, so erzählt mir, |
wo saht ihr solch ein Wunder, | wo saht ihr solch ein Wunder, | ||
dass ein Mensch je geflogen wäre." | dass ein Mensch je geflogen wäre." | ||
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"Wir sahen es nie, zu keiner Stunde. | "Wir sahen es nie, zu keiner Stunde. | ||
Ja, Herr, wir sahen es nie." - | Ja, Herr, wir sahen es nie." - | ||
- | "So sollt ihr es auch hier | + | "So sollt ihr es auch hier sehen, |
- | ich | + | dass ich nicht fliegen werde. |
Nun fahrt heim in Gottes Seegen | Nun fahrt heim in Gottes Seegen | ||
und sagt, ihr seid alle hier gewesen, | und sagt, ihr seid alle hier gewesen, | ||
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+ | [[Datei:Kraemerbruecke.jpg|links|gerahmt|Die [[Krämerbrücke]] im MOSAIK]] | ||
[[Datei:Vlen 60.jpg|rechts|x300px]] | [[Datei:Vlen 60.jpg|rechts|x300px]] | ||
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und kein Almosen anzunehmen - | und kein Almosen anzunehmen - | ||
das hat er mir bei meinem Leben verboten -, | das hat er mir bei meinem Leben verboten -, | ||
- | das | + | das mir eine Frau gibt, |
die neben ihrem ehelichen Mann | die neben ihrem ehelichen Mann | ||
jemals einen anderen Liebhaber genommen hat. | jemals einen anderen Liebhaber genommen hat. | ||
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Bei der Umsetzung dieser Eulenspiegelei gibt es im MOSAIK einige größere Änderungen, dafür aber auch einige hochspezielle Übernahmen. Als Überleitung vom letzten Abenteuer fungiert das [[Marienbildnis aus Bayern]], das [[Eulenspiegel]] nun in [[Marburg]] als eigene Arbeit ausgibt, statt diverser Gemälde aus [[Flandern]], wie im ''Kurtzweilig Lesen''. Zudem wird ein Austausch mit einem [[Marburger Torwächter]] vorangestellt, samt erstmaliger Darstellung Eulenspiegels mit schellenbestückter Narrenkappe und Spiegel in der Hand durch [[Brabax]]' Wandzeichnung - auf diese Weise wird die Eulenspiegelfigur aus Heft [[1/76]] nachträglich eingeführt. | Bei der Umsetzung dieser Eulenspiegelei gibt es im MOSAIK einige größere Änderungen, dafür aber auch einige hochspezielle Übernahmen. Als Überleitung vom letzten Abenteuer fungiert das [[Marienbildnis aus Bayern]], das [[Eulenspiegel]] nun in [[Marburg]] als eigene Arbeit ausgibt, statt diverser Gemälde aus [[Flandern]], wie im ''Kurtzweilig Lesen''. Zudem wird ein Austausch mit einem [[Marburger Torwächter]] vorangestellt, samt erstmaliger Darstellung Eulenspiegels mit schellenbestückter Narrenkappe und Spiegel in der Hand durch [[Brabax]]' Wandzeichnung - auf diese Weise wird die Eulenspiegelfigur aus Heft [[1/76]] nachträglich eingeführt. | ||
- | Die Beauftragung durch den [[Heinrich II. der Eiserne|Landgrafen]] folgt wieder stark dem Vorbild, nur dass Eulenspiegel im MOSAIK zweihundert [[Gulden]] Vorschuss erhält, nicht nur einhundert - da er sich im MOSAIK jedoch keine zweite Rate holt wie im ''Kurtzweilig Lesen'', kommt die Entlohnung auf dasselbe hinaus. Die Entstehung des aberwitzigen Stammbaums wird im MOSAIK etwas anders geschildert als in der Vorlage: Entnimmt Brabax die Namen im MOSAIK | + | Die Beauftragung durch den [[Heinrich II. der Eiserne|Landgrafen]] folgt wieder stark dem Vorbild, nur dass Eulenspiegel im MOSAIK zweihundert [[Gulden]] Vorschuss erhält, nicht nur einhundert - da er sich im MOSAIK jedoch keine zweite Rate holt wie im ''Kurtzweilig Lesen'', kommt die Entlohnung auf dasselbe hinaus. Die Entstehung des aberwitzigen Stammbaums wird im MOSAIK etwas anders geschildert als in der Vorlage: Entnimmt Brabax die Namen im MOSAIK einer [[Buch mit den Vorfahren des Landgrafen von Hessen|alten Schwarte]], erfindet sie Eulenspiegel im ''Kurtzweilig Lesen'' kurzerhand selbst. Die Namen sind, von einer [[Adolf HItler|Ausnahme]] abgesehen, interessanterweise 1:1 übernommen worden. Eine genaue Besprechung der Stelle, inklusive möglicher Vorbilder für die fiktiven Vorfahren, findet man im Artikel zum [[Haus Hessen]]. |
- | Die Auflösung der Geschichte erfolgt im MOSAIK wieder freier, denn es ändert den Streich von angeblich nur ehelich Geborenen sichtbaren Zeichnungen à la ''[[Des Kaisers neue Kleider]]'' hin zu albernen Krakeleien, die als neue Zeichenkunst, "wie sie in [[London]] und [[Paris]] längst Mode ist", ausgegeben werden. So fallen auch die Landgräfin, ihre Hofdamen und ihre Närrin weg, und Eulenspiegel wird durch den zufällig zu Gast weilenden [[Bürgermeister von Magdeburg 1334|Bürgermeister]] von [[Magdeburg]] enttarnt, der mit dem Schalk noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Euelenspiegel entkommt also nicht, wie im ''Kurtzweilig Lesen'', sondern wird in das von Brabax erfundene Narrenkostüm gesteckt und vor den Kadi gezerrt, womit der Übergang zur letzten MOSAIK-Eulenspiegelei geschaffen wird. | + | Die Auflösung der Geschichte erfolgt im MOSAIK wieder freier, denn es ändert den Streich von angeblich nur ehelich Geborenen sichtbaren Zeichnungen à la ''[[Des Kaisers neue Kleider]]'' hin zu albernen Krakeleien, die als neue Zeichenkunst, "wie sie in [[London]] und [[Paris]] längst Mode ist", ausgegeben werden. So fallen auch die Landgräfin, ihre Hofdamen und ihre Närrin weg, und Eulenspiegel wird durch den zufällig zu Gast weilenden [[Bürgermeister von Magdeburg 1334|Bürgermeister]] von [[Magdeburg]] enttarnt, der mit dem Schalk noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Euelenspiegel entkommt also nicht, wie im ''Kurtzweilig Lesen'', sondern wird in das von Brabax erfundene Narrenkostüm gesteckt und [[Prozess gegen Eulenspiegel|vor den Kadi]] gezerrt, womit der Übergang zur letzten MOSAIK-Eulenspiegelei geschaffen wird. |
Die ganze Episode im ''Kurtzweilig Lesen'' basiert, wie einige weitere benachbarte Geschichten, auf einer Passage im Narrenroman ''Der Pfaffe Amis'' von dem Stricker aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dort malt der Pfaffe Amis dem [[König]] von [[Frankreich]] angeblich lauter [[Bibel|biblische]] Vorfahren an die Wand ([[König David]], [[Salomo]], Absalom), dazu noch [[Alexander den Großen]] samt König [[Dareios]] und [[König Poros]] sowie den [[Turmbau zu Babel]]. Ein Ausschnitt daraus wird im Anschluss an den Text der Historie wiedergegeben, im mittelhochdeutschen Original und in der frühneuhochdeutschen Fassung des Erstdrucks, jeweils mit Übertragung ins Neuhochdeutsche (bei Interesse ausklappbar). | Die ganze Episode im ''Kurtzweilig Lesen'' basiert, wie einige weitere benachbarte Geschichten, auf einer Passage im Narrenroman ''Der Pfaffe Amis'' von dem Stricker aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dort malt der Pfaffe Amis dem [[König]] von [[Frankreich]] angeblich lauter [[Bibel|biblische]] Vorfahren an die Wand ([[König David]], [[Salomo]], Absalom), dazu noch [[Alexander den Großen]] samt König [[Dareios]] und [[König Poros]] sowie den [[Turmbau zu Babel]]. Ein Ausschnitt daraus wird im Anschluss an den Text der Historie wiedergegeben, im mittelhochdeutschen Original und in der frühneuhochdeutschen Fassung des Erstdrucks, jeweils mit Übertragung ins Neuhochdeutsche (bei Interesse ausklappbar). | ||
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"wer es nicht sehen kann, | "wer es nicht sehen kann, | ||
muss sehen, wie er damit fertig wird. | muss sehen, wie er damit fertig wird. | ||
- | Ich sah nie ein | + | Ich sah nie ein besser ausgemaltes Haus." |
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Für die [[Fanfiction]]-Geschichte ''[[Die Abrafaxe, und wie Eulenspiegel vorgab, dass er zu Magdeburg von der Laube fliegen wollte]]'' von Peter Gräber, die [[2001]] im [[Fanzine]] ''[[Mosa-icke 2]]'' erschien, wurde ebenfalls die ''14. Historie'' genutzt ([[#Magdeburg - 14. Historie|siehe oben]]). Diesmal lag die Bearbeitung des Stoffes durch Otto Fuhlrott für seine ''Magdeburger Sagen'' zugrunde. Über 20 Jahre vor MOSAIK [[589]] erschienen, werden hier bereits einige der Ideen vorweggenommen, die dann auch in der [[Jubiläums-Serie]] umgesetzt wurden. | Für die [[Fanfiction]]-Geschichte ''[[Die Abrafaxe, und wie Eulenspiegel vorgab, dass er zu Magdeburg von der Laube fliegen wollte]]'' von Peter Gräber, die [[2001]] im [[Fanzine]] ''[[Mosa-icke 2]]'' erschien, wurde ebenfalls die ''14. Historie'' genutzt ([[#Magdeburg - 14. Historie|siehe oben]]). Diesmal lag die Bearbeitung des Stoffes durch Otto Fuhlrott für seine ''Magdeburger Sagen'' zugrunde. Über 20 Jahre vor MOSAIK [[589]] erschienen, werden hier bereits einige der Ideen vorweggenommen, die dann auch in der [[Jubiläums-Serie]] umgesetzt wurden. | ||
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== Eulenspiegel im ''König der Spaßmacher'' == | == Eulenspiegel im ''König der Spaßmacher'' == | ||
[[Dirk Seliger]], der Autor des [[Fanfiction]]-Romans ''[[Der König der Spaßmacher]]'', nutzte als Vorlagen die von Günter Jäckel bei ''Reclam'' [[Leipzig]] besorgte Ausgabe des ''Kurtzweilig Lesen'' in der Auflage von [[1968]] sowie das von ihm selbst geschriebene Kinderbuch ''Die Rückkehr des Till Eulenspiegel'' mit elf neuen Schelmenstreichen von [[2001]]. Beiden Quellen entlehnte er jeweils zwei Geschichten. Beim ''Kurtzweilig Lesen'' waren dies die ''32. Historie'' ([[Nürnberg]]) und die ''33. Historie'' ([[Bamberg]]). Die restlichen Streiche im ''König der Spaßmacher'' wurden für den Roman neu geschaffen. | [[Dirk Seliger]], der Autor des [[Fanfiction]]-Romans ''[[Der König der Spaßmacher]]'', nutzte als Vorlagen die von Günter Jäckel bei ''Reclam'' [[Leipzig]] besorgte Ausgabe des ''Kurtzweilig Lesen'' in der Auflage von [[1968]] sowie das von ihm selbst geschriebene Kinderbuch ''Die Rückkehr des Till Eulenspiegel'' mit elf neuen Schelmenstreichen von [[2001]]. Beiden Quellen entlehnte er jeweils zwei Geschichten. Beim ''Kurtzweilig Lesen'' waren dies die ''32. Historie'' ([[Nürnberg]]) und die ''33. Historie'' ([[Bamberg]]). Die restlichen Streiche im ''König der Spaßmacher'' wurden für den Roman neu geschaffen. | ||
- | === | + | === Bamberg und die Wirtin - ''33. Historie'' === |
+ | Die [[Bamberg]]er Wirtin, Frau Kün(i)gine ("Königin"), bekam im ''König der Spaßmacher'' den viel passenderen Namen [[Annabella Brummer]], ihr Wirtshaus heißt ''[[Zum Bierfass]]''. Außerdem wurden die Preise geändert: Statt für 24/18/12 [[Pfennig]]e speist man im Roman für 12/6/3 Pfennige; dafür kosten Bier und Tierfutter extra. | ||
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- | {{zitat|'''Die . | + | {{zitat|'''Die .XXXIII. histori sagt wie<br>Vlenspiegel zů Bůmberg vmb gelt aß.''' |
- | + | MIt listen verdient [[Eulenspiegel|Vlenspiegel]] gelt eins malß zů [[Bamberg]] als er von [[Nürnberg]] kam / vnd wz fast hungerig vnd da kam in einer wirtin [[Zum Bierfass|huß]] die hieß [[Annabella Brummer|frauw Künigine]] die da ein froeliche wirtin was / vnnd hyß in wilckummen sein / dan sie sahe an seinen kleidern dz es ein seltzamer gast wz. Als man nun des morgens eßsen wolt da fragt in die wirtin wie er es halten wolt ob er vbers mal wolt sitzen / oder ob er dz pfennigwett wolt essen Vlenspiegel der antwurt er wer ein armer gesel / vnd bate sie dz sie im etwz vmb gots willen wolt zů essen geben. Die wirtin sprach. Fründ in den fleischbencken oder in den brotbencken gibt man mir nüt vergebens / ich můß gelt darumb geben Darumb můß ich für dz essen auch gelt hon. Vlenspiegel der sprach: Ach fraw es dient mir auch wol vmb gelt zů essen warumb oder wieuil sol ich hie essen vnd trincken. Die frauw sprach / an der herren tisch vmb .xxiiii. [[Pfennig|pfenig]] / vnd an der nechsten taffeln da bei / für .xxviii. pfenig / vnd mit meinem gsind für .xii. pfenig. Daruff antwurt Vlenspiegel / frauw das meiste gelt dient mir aller bast / vnd satzt sich an der herren taffel / vnd aß sich gleich sat. Als er nun vol wz / vnd wol gessen vnd getruncken het. Er sprach zů der wirtin / daz sie in wegfertigen wolt / er müst wandern / dan er het nit vil zerung. lieber gast sprach die fraw / gebt mir dz malgelach .xxiiii pfening / vnd gon war ir woellen dz euch got geleid / nein sprach Vlenspiegel / ir sollen mir .xxiiii. pfening geben als ir gesagt hon / dan ir sprachen an der taffel / es man daz mal vmb .xxiiii. pfening / dz hab ich ia also verstanden / dz solt da mit gelt verdienen / den es ward mir schwer gnůg. Ich aß daz mir der schweiß vßbrach / als ob es leib vnd leben golten het / so hett ich nit mer essen moegen / darumb so gebt mir mein suren lon. Fründ sprach die wirtin / dz ist war / ir hon wol dreier mann kost gessen / vnnd das ich euch darzů lonen soll / das rymet sich gar nit. Doch ist es vmb dis malzeit zů thůn ir moegen wol da mit hinweg gon / ich gib nun aber kein gelt zů / dz ist verloren / vnd beger auch kein gelt von euch / kumpt mir nit herwider / dann sol ich mein gest dz iar vmb also speisen / vnd die mer geltz vff heben dan von euch / ich müst mit der weiß von huß vnd hoff lassen. vnd da schied vlenspiegel also von dannen / vnd verdient nit vil danckß.}} | |
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- | {{zitat|'''Die | + | {{zitat|'''Die 33. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Bamberg um Geld aß.''' |
- | Eulenspiegel | + | Als [[Eulenspiegel]] von [[Nürnberg]] kam, verdiente er mit List einmal Geld in [[Bamberg]]. Er war sehr hungrig und kam in einer Wirtin [[Zum Bierfass|Haus]], die hieß [[Annabella Brummer|Frau Küngine]]. Sie war eine fröhliche Wirtin und hieß ihn willkommen, denn sie sah an seinen Kleidern, daß er ein seltsamer Gast war. |
- | + | Als man morgens essen wollte, fragte ihn die Wirtin, wie er es halten möchte: ob er ein vollständiges Frühstück einnehmen oder nur einzelne Kleinigkeiten essen wolle. Eulenspiegel antwortete, er sei ein armer Gesell und bitte sie, ihm etwas um Gottes Lohn zu essen zu geben. Die Wirtin sprach: »Freund, an den Fleisch- und Brotbänken gibt man mir nichts umsonst, ich muß Geld dafür zahlen. Darum muß ich für das Essen auch Geld bekommen.« Eulenspiegel sagte: »Ach, Frau, es dient auch mir wohl, um Geld zu essen. Um was oder um wieviel soll ich hier essen und trinken?« Die Frau sprach: »An der Herren Tisch um 24 [[Pfennig]]e, an dem Tisch daneben um 18 Pfennige und mit meinem Gesinde um 12 Pfennige.« Darauf antwortete Eulenspiegel: »Frau, das meiste Geld dient mir am allerbesten.« Und er setzte sich an die Herrentafel und aß sich sogleich satt. | |
- | + | Als er fertig war und gut gegessen und getrunken hatte, sagte er zur Wirtin, sie möge ihn abfertigen; er müsse wandern, denn er habe nicht viel Reisegeld. Die Frau sprach: »Lieber Gast, gebt mir das Essensgeld, 24 Pfennige, und geht, wohin Ihr wollt, Gott geleite Euch!« »Nein«, sagte Eulenspiegel. »Ihr sollt mir 24 Pfennige geben, wie Ihr gesagt habt. Denn Ihr spracht, an der Tafel esse man das Mahl um 24 Pfennige. Das habe ich so verstanden, daß ich damit Geld verdienen sollte, und es wurde mir schwer genug. Ich aß, daß mir der Schweiß ausbrach und als ob es Leib und Leben gegolten hätte. Mehr hätte ich nicht essen können. Darum gebt mir meinen sauer verdienten Lohn.« »Freund«, sprach die Wirtin, »das ist wahr: Ihr habet wohl für drei Mann gegessen. Aber daß ich Euch dafür auch noch lohnen soll, das reimt sich nicht zusammen. Doch ist es mir nicht um diese Mahlzeit zu tun, Ihr mögt damit hinweggehen. Ich gebe Euch aber nicht noch Geld dazu, denn das wäre verloren; doch begehre ich auch kein Geld von Euch. Kommt mir aber nicht wieder her! Denn sollte ich meine Gäste das Jahr über also speisen und nicht mehr Geld einnehmen als von Euch, so müßte ich auf solche Weise von Haus und Hof lassen.« | |
- | + | Da schied Eulenspiegel von dannen und erntete nicht viel Dank.}} | |
|} | |} | ||
- | === | + | [[Datei:Vlen 32.jpg|rechts|x300px]] |
- | + | ||
+ | === Nürnberg und die Stadtwächter - ''32. Historie'' === | ||
+ | Während dieser Streich im ''Kurtzweilig Lesen'' eine reine Narretei von [[Eulenspiegel]] darstellt, die keinerlei Begründung benötigt, handelt es sich im ''König der Spaßmacher'' um eine Lektion für die dienstvergessenen [[Nürnberg]]er [[Scharwächter in Nürnberg|Scharwächter]], ausgelöst durch den Angriff auf die [[Wirtstochter Marie]], den diese weder verhinderten noch verfolgten. Als Dank bekommt [[Till Eulenspiegel|Tillmann]] von [[Wirt in Nürnberg|Maries Vater]] einen wichtigen Hinweis, der ihn endlich zur [[Burg Möhrenfeld]] führt. | ||
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- | {{zitat|'''Die . | + | {{zitat|'''Die .XXXII histori sagt wie Vlenspiegel<br>die scharwechter zů Nürnberg wacker macht die im nach folgten vber ein steg vnd in das wasser fielen.''' |
- | + | [[Eulenspiegel|VLenspiegel]] was künstlich in der schalckeit / als er nun [[#Bayerisches Dorf (eigentlich: Pommern) - 31. Historie|mit dem hopt]] weit vmb gezogen wz / vnd die lüt vast betrogen het / da kam er geen [[Nürnberg]] / vnd wolt sein gelt da verzeren dz er mit dem helithom gewunne / vnd da er nun ein zeit lang da gelegen was vnnd alle vmbstend gesehen het. Da kunt er von natur nit lassen er müst da auch ein schalckheit thůn. Vnd sahe daz die scharwechter in eim grossen kasten schlieffen vnder dem rathuß in harnisch / vnd Vlenspiegel het da zů Nürnberg weg vnd steg wol gelernt / vnd sunderlich ab gesehen den steg zwüschen dem süwmarckt vnd dem hüßlin da des nachts boes vber wandlen ist. Wan manche gůte dirn / wen sie woellen wein holen die da vmb gezogen werden. Also wartet nun vlenspiegel mit seiner schalckheit / biß die leüt schlaffen waren gangen vnd dz es gantz stil wz. Da brach er von dem selben steg drei tilen vnd warff sie in dz wasser genant die [[Pegnitz]] / vnd gieng für dz rothuß vnd begund zů fluchen / vnd hüw mit eim alten messer in dz pflaster / das dz feür daruß sprang. Da dz die wechter horten da warend sie bald vff vnnd lieffen hinnach. Da vlenspiegel hort dz sie im nach lieffen / da luf er für den wachtern hin / vnd nam die flůcht zů den süw marckt hin / vnd da waren die wechter noch hinder im her / also kam er mit not in vor an die stat / da er die tilen ab het geworffen / vnd behalff sich wie er mocht / das er vber den steg kam. Vnnd da er hinvber waz kumen Da rufft er mit lauter stim Hoho wa bleiben ir nun ir verzagten boeßwicht. Da das die wechter horten / da lieffen sie ylens im zů / on alles verdenckenen im nach vnd ein ietlicher wolt der erst sein. Also fiel ie einer nach dem andern in die Pegnitz / vnd was die luck des stegs so eng / das sie vff ietlichem ort die meüler zerfielen / also rufft Vlenspiegel hoho louffen ir noch nit / morgen louffen mir mer nach / zů disem bad weren ir noch morgen frü wol kumen / du hest nit halb so fast doerffen iagen du werest noch wol zů rechter zeit kumen. Also fiel einer ein bein entzwei / der ander ein arm / der drit ein loch in kopff also das keiner on schaden daruon kam. Da er nun die schalckheit volbracht het / da blib er nit lang zů Nürnberg vnd zoch wider hinweg wan im waß nit lieb wa es vß kem von im / das er nit gestümbfft würd / dann die von Nürnberg moechten es nit vor schimpff woellen hon.}} | |
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- | {{zitat|'''Die | + | {{zitat|'''Die 32. Historie sagt, wie Eulenspiegel die Stadtwächter in Nürnberg munter machte, die ihm über einen Steg nachfolgten und ins Wasser fielen.''' |
- | + | [[Eulenspiegel]] war erfindungsreich in seinen Schalkheiten. Als er mit dem [[#Bayerisches Dorf (eigentlich: Pommern) - 31. Historie|Totenhaupt]] weit umhergezogen war und die Leute tüchtig betrogen hatte, kam er nach [[Nürnberg]] und wollte da sein Geld verzehren, das er mit der Reliquie gewonnen hatte. Und als er sich eine Zeitlang dort aufgehalten und alle Verhältnisse kennengelernt hatte, konnte er von seiner Natur nicht lassen und mußte auch dort eine Schalkheit tun. | |
- | + | Er sah, daß die Stadtwächter in einem Wächterhaus unterhalb des Rathauses im Harnisch schliefen. Eulenspiegel hatte in Nürnberg Weg und Steg genau kennengelemt. Besonders gut hatte er sich den Brückensteg zwischen dem Saumarkt und dem Wächterhaus angesehen. Darüber ist des Nachts schlecht zu wandeln. Denn manche gute Dirne, wenn sie Wein holen wollte, wurde dort belästigt. | |
- | + | Eulenspiegel wartete also mit seinem Streich, bis die Leute schlafen gegangen waren und es ganz still war. Dann brach er aus diesem Steg drei Bohlen und warf sie in das Wasser, genannt die [[Pegnitz]]. Und er ging vor das Rathaus, begann zu fluchen und hieb mit einem alten Messer auf das Pflaster, daß das Feuer daraus sprang. Als die Wächter das hörten, waren sie schnell auf den Beinen und liefen ihm nach. Da Eulenspiegel hörte, daß sie ihm nachliefen, rannte er vor den Wächtern her und nahm die Flucht zu dem Saumarkt hin, die Wächter immer hinter ihm her. Er kam mit knapper Not vor ihnen an die Stelle, wo er die Bohlen herausgebrochen hatte, und behalf sich, so gut er konnte, um über den Steg zu kommen. Und als er hinübergekommen war, rief er mit lauter Stimme: »Hoho, wo bleibt ihr denn, ihr verzagten Bösewichter?« Da das die Wächter hörten, liefen sie ihm eilends und ohne allen Argwohn nach, und jeder wollte der erste sein. Also fiel einer nach dem anderen in die Pegnitz. Die Lücke im Steg war so eng, daß sie sich an allen Stellen die Mäuler zerschlugen. Da rief Eulenspiegel: »Hoho, lauft ihr noch nicht? Morgen laufet mir weiter nach! Zu diesem Bad wäret ihr morgen noch früh genug gekommen. Du hättest nicht halb so schnell zu jagen brauchen, du wärst noch immer zur rechten Zeit gekommen.« Also brach sich der eine ein Bein, der andere einen Arm, der dritte schlug sich ein Loch in den Kopf, so daß keiner ohne Schaden davonkam. | |
- | + | Als Eulenspiegel diese Schalkheit vollbracht hatte, blieb er nicht mehr lange in Nürnberg, sondern zog wieder weiter. Denn es war ihm nicht lieb, geschlagen zu werden, wenn sein Streich herauskäme: die Nürnberger würden ihn nicht als Spaß angesehen haben.}} | |
|} | |} | ||
+ | |||
+ | == Literatur == | ||
+ | *Siegfried H. Sichtermann (Hg.): ''Hermann Bote. Ein kurzweiliges Buch von Till Eulenspiegel aus dem Lande Braunschweig. Wie er sein Leben vollbracht hat. Sechsundneunzig seiner Geschichten'', Berlin: ''Insel'' <sup>22</sup>2023 (EA: Frankfurt 1978). | ||
+ | *Günter Jäckel (Hg.): ''Ein kurzweilig Lesen von Till Eulenspiegel, geboren aus dem Land zu Braunschweig, wie er sein Leben vollbracht hat. 95 seiner Geschichten'', Leipzig: ''Reclam'' <sup>9</sup>1968 (EA: ''Das Volksbuch vom Till Eulenspiegel. Vollständige Textausgabe des Volksbuches von 1515 und 1519'', Leipzig 1955). | ||
+ | *Der Stricker: ''Der Pfaffe Amis. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch'', nach der Heidelberger Hs. cpg 341 hg., übs. u. komm. von Michael Schilling, Stuttgart: ''Reclam'' 1994. | ||
== Externe Verweise == | == Externe Verweise == | ||
- | * | + | === ''Kurtzweilig Lesen'' === |
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Till_Eulenspiegel Wikipedia-Artikel] zum ''Kurtzweilig Lesen'' und [[Till Eulenspiegel]] selbst | ||
+ | *[https://de.wikisource.org/wiki/Ein_kurtzweilig_lesen_von_Dyl_Vlenspiegel Originaltext] | ||
+ | *[https://www.projekt-gutenberg.org/bote/eulenspg/eulenspg.html Übersetzung ins Neuhochdeutsche] | ||
+ | |||
+ | === Mögliche Verfasser === | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Till_Eulenspiegel#M%C3%B6gliche_Verfasser Mögliche Verfasser des ''Kurtzweilig Lesen''] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Bote Hermann Bote] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_dem_Busche Hermann Buschius] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Hieronymus_Brunschwig Hieronymus Brunschwig] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Murner Thomas Murner] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Gr%C3%BCninger Hans Grüninger] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Adelphus Johannes Adelphus] | ||
+ | |||
+ | === Der ''Pfaffe Amis'' === | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Pfaffe_Amis Wikipedia-Artikel] | ||
+ | *[https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg341/0297/image,info mittelhochdeutscher Text] | ||
+ | *[https://archive.org/details/derpfaffeamisein00ders/mode/2up Erstdruck] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Stricker der Stricker] | ||
+ | |||
+ | === Der ''Pfaffe von Kalenberg'' === | ||
+ | *[https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00083139?page=,1 Originaltext] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Frankfurter Philipp Frankfurter] | ||
+ | *[https://oesterreichwiki.org/wiki/Gundacker_von_Thernberg Gundacker von Thernberg], mögliches Vorbild für den Pfaffen von Kalenberg | ||
+ | === ''Facetiae'' === | ||
+ | *[https://it.wikisource.org/wiki/Facezie_(Poggio_Bracciolini) Text der ''Facetiae''] | ||
+ | *[https://it.wikisource.org/wiki/Facezie_(Poggio_Bracciolini)/49 49. Facetia] | ||
+ | *[https://de.wikipedia.org/wiki/Poggio_Bracciolini Poggio Bracciolini] | ||
== Das ''Kurtzweilig Lesen'' diente als Vorlage für folgende Publikationen == | == Das ''Kurtzweilig Lesen'' diente als Vorlage für folgende Publikationen == |
Aktuelle Version vom 01:58, 22. Jan. 2025
Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel ist ein frühneuzeitlicher Schelmenroman. Es handelt sich um die erste umfangreiche literarische Bearbeitung des Eulenspiegel-Stoffs, wobei mehrere der geschilderten Streiche auf wesentlich frühere, teils antike Wandermotive zurückgehen, die erst später mit der Figur des Till Eulenspiegel verknüpft wurden. Das Kurtzweilig Lesen bzw. eine seiner Übertragungen ins Neuhochdeutsche diente als Vorlage für die diversen Umsetzungen der Eulenspiegel-Abenteuer im MOSAIK und ums MOSAIK herum.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Druckgeschichte
[Bearbeiten] Entstehung
Der vollständige Titel des in mittelniederdeutscher Sprache verfassten Volksbuchs lautet Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel geborē vß dem land zů Brunßwick. Wie er sein leben volbracht hatt .xcvi. seiner geschichten ("Ein kurzweiliges Lesen von Till Eulenspiegel, geboren aus dem Land zu Braunschweig, wie er sein Leben verbracht hat. 96 seiner Geschichten"). Es erschien zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Druckerei von Hans Grüninger in Straßburg; das genaue Jahr ist nicht bekannt (wohl um 1510/11), die älteste erhaltene Auflage stammt von 1515.
Ebenfalls unbekannt ist der Verfasser. Es kommen hierfür sowohl Autoren aus der Gegend von Braunschweig in Frage (Hermann Bote, Hieronymus Brunschwig), als auch solche aus dem Umfeld der Druckerei, inklusive des Druckers selbst (Thomas Murner, Hans Grüninger, Hermann Buschius, Johannes Adelphus und andere); ohne weiteres denkbar ist auch eine Co-Verfasserschaft mehrerer Autoren oder eine Überarbeitung des Manuskripts eines Hauptautors durch einen oder mehrere Redakteure.
[Bearbeiten] Aufbau
Das Buch beginnt mit einer Einleitung des anonymen Autors, in der er u.a. auf zwei seiner Quellen für Eulenspiegels Streiche verweist:
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Gemeint sind der mittelhochdeutsche Schwankroman vom Pfaffen Amis aus der Feder des Strickers (entstanden um 1240) und die Schwanksammlung Des pfaffen geschicht und histori vom Kalenberg von Philipp Frankfurter. Beide lagen seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereits gedruckt vor, der Pfaffe von Kalenberg seit 1470, der Pfaffe Amis seit etwa 1483.
Im Kurtzweilig Lesen folgen auf die Einführung 96 kurze bis sehr kurze Episoden ("Historien", Nr. 42 fehlt allerdings). Diese schildern jeweils einen Streich Eulenspiegels, mit Ausnahme der ersten Historie, die seine Geburt und seine Taufe, und der letzten drei Historien, die Ereignisse nach seinem Tod behandeln. Üblicherweise beginnt jede Episode damit, dass Eulenspiegel, der kreuz und quer durch die Gegend reist, in eine neue Stadt oder ein neues Land kommt und schnell erkennt, wie er die Leute dort übervorteilen oder ihnen sonstige deftige, gerne skatologische Streiche spielen kann. So kommt er u.a. nach Magdeburg, Hildesheim, Nürnberg, Halberstadt, Braunschweig, Lüneburg, Marburg, Erfurt, Sangerhausen, Bamberg, Frankfurt, Quedlinburg, Rostock, Wismar, Berlin, Stendal, Aschersleben, Leipzig, Lübeck, Dresden, Hannover, Bremen, Hamburg, Eisleben, Köln und Mölln, sowie nach Dänemark, Polen, Böhmen (Prag), Pommern, Italien (Rom), Frankreich (Paris) und Belgien (Antwerpen). An manchen Orten erlebt er mehrere Abenteuer hintereinander, manche Orte sucht er in größerem Abstand wiederholt auf.
[Bearbeiten] Querverbindungen
Eulenspiegel-Streiche, die auch mit anderen Figuren, früheren wie späteren, verknüpft werden, sind z.B.:
- die 8. Historie, in der er Hühner an kreuzweise verknüpften Stricken fängt (vgl. Max und Moritz, diese beiden, und die arme Witwe Bolte)
- die 14. Historie, in der er die Schaulustigen verhöhnt, weil sie glaubten, er könne fliegen (vgl. die spätmittelalterliche Witzesammlung Facetiae von Poggio Bracciolini, entstanden zwischen 1438 und 1452, Anekdote 49, wo die Szene in Bologna spielt, oder den Pfaffen von Kalenberg, Verse 423ff, wo der Pfaffe behauptet, er könne über die Donau fliegen, um die neugierigen Bauern mit seinem alten Wein abzufüllen, nur um sie dann auszulachen)
- die 17. Historie, in der er den Insassen eines Spitals weismacht, er werde den Kränkesten von ihnen zu einem Pulver verarbeiten, mit dem die anderen geheilt würden, worauf alle Lahmen plötzlich laufen können (vgl. Hans Wursts Behandlungsmethoden, insbesondere die Drohung, den Ritter von Sülzner mit Schießpulver in die Luft zu jagen)
- die 27. Historie, in der sich nur eine Törin zu sagen traut, dass er gar nichts gemalt hat (vgl. Des Kaisers neue Kleider)
- die 28. Historie, in der er vor einem Gremium von missgünstigen Gelehrten Fragen zur Erde und zum Weltall beantwortet (vgl. Hodscha Nasreddin)
- die 32. Historie, in der er einen Steg manipuliert, so dass seine Verfolger in den Burggraben purzeln (vgl. erneut Max und Moritz, gar nicht träge, diesmal vs. Meister Böck)
- die 80. Historie, in der er mit dem Klang von Geld bezahlt (vgl. erneut Hodscha Nasreddin)
Die 17. Historie (Wunderheilung in Nürnberg), 27. Historie (Ahnengalerie in Marburg), 28. Historie (Gelehrtenwettstreit in Prag), 29. Historie (Lese-Esel in Erfurt) und 31. Historie (Spendenpredigt) sind offenbar alle dem Pfaffen Amis entlehnt.
[Bearbeiten] Übertragungen
Übertragungen des Volksbuchs ins Neuhochdeutsche, oft verknüpft mit einer gewissen Überarbeitung und erweitert um zusätzliche, später entstandene Eulenspiegelstreiche, gibt es reichlich. Es ist daher nicht ohne weiteres festzustellen, welche von ihnen bei der Umsetzung des Stoffs im MOSAIK genutzt wurde. Bei der Fanfiction-Geschichte Die Abrafaxe, und wie Eulenspiegel vorgab, dass er zu Magdeburg von der Laube fliegen wollte hat die Auswahl von Eulenspiegel-Geschichten aus den Magdeburger Sagen von Otto Fuhlrott zugrundegelegen. Für den Roman Der König der Spaßmacher wurde die Reclam-Ausgabe von Günter Jäckel benutzt.
Hier im Artikel wird die Übertragung von Siegfried H. Sichtermann aus dem Insel-Verlag als Vergleich herangezogen.
[Bearbeiten] Eulenspiegel in der Runkel- und der Adria-Serie
Bei den diversen Ankündigungen für künftige Abenteuer im MOSAIK, auf den Rückseiten der Runkel-Nachdrucke und zu Beginn von Heft 1/76, wurde auch schon Till Eulenspiegel genannt. Näher wird auf seine Streiche jedoch nicht eigegangen, so dass hierfür sicherlich keine vorherige Lektüre des Volksbuchs nötig war.
[Bearbeiten] Eulenspiegel in der Jubiläums-Serie
MOSAIK 589, das erste Heft der Jubiläums-Serie, bietet sechs Eulenspiegel-Streiche, je einen in Magdeburg und Bayern und je zwei in Erfurt und Marburg, die auf sechs verschiedenen Historien der Vorlage beruhen: Magdeburg, Marburg, Pommern, Lübeck und zweimal Erfurt. Die grundlegende Struktur der Vorlage wird jeweils beibehalten, doch werden durchaus einige Sachen geändert, gekürzt oder hinzugefügt. Die Auswahl und Reihenfolge der einzelnen Geschichten erfolgte dabei recht frei; d.h. die Reihenfolge im MOSAIK stimmt nicht mit der im Kurtzweilig Lesen überein. Das ist insofern kein Problem, als die Original-Historien abgesehen von gelegentlichen kurzen Überleitungssätzen nicht aufeinander aufbauen. In der folgenden Besprechung der relevanten Stellen wird chronologisch nach der MOSAIK-Handlung vorgegangen.
Für die kurze Szene, in der sich Eulenspiegel beim Bergabwandern ärgert und beim Bergaufwandern freut, konnte noch keine Vorlage aus dem Kurtzweilig Lesen gefunden werden. Diese Geschichte ist aber tatsächlich in diversen Eulenspiegel-Büchern und -Gedichten enthalten.
[Bearbeiten] Magdeburg - 14. Historie
Im MOSAIK erreichen die Abrafaxe im Jahre 1334 Magdeburg, wo Till Eulenspiegel gerade auf dem Dach des Rathauses steht und die Leute unten verhöhnt, da sie geglaubt hätten, er könne fliegen. Sie helfen ihm, den aufgebrachten Bürgern zu entkommen, unter denen sich eine Nebenhandlung um einen Wurstdieb entfaltet.
Außer in der hinzugefügten Nebenhandlung mit den verschiedenen Bürgern stimmt das MOSAIK stark mit der Vorlage im Kurtzweilig Lesen überein. Insbesondere ist Eulenspiegels Spottrede fast 1:1 übernommen worden - abgesehen davon, dass einige Begriffe modernisiert wurden und sich Eulenspiegel statt mit einer Gans mit einem Storch vergleicht.
Die ganze Geschichte ist, wie oben beschrieben, ein Wandermotiv, das vor Eulenspiegel schon mehrfach von anderen Schalken berichtet wird. Im Anschluss an den Originaltext aus dem Kurtzweilig Lesen samt neuhochdeutscher Übertragung folgen daher hier noch die Parallelstellen aus den Facetiae von Poggio Bracciolini und dem Pfaffen von Kalenberg von Philipp Frankfurter, jeweils mit Übersetzung (bei Interesse ausklappbar).
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann (mit abweichender Historienzählung): | ||
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Fazecie von Poggio Bracciolini | Übersetzung mit Deepl | ||
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Des pfaffen geschicht vnd histori vom kalenberg von Philipp Frankfurter | Auszugsweise eigene Übertragung | ||
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[Bearbeiten] Erfurt und die Fleischer - 60. Historie
Diese Geschichte folgt im MOSAIK zunächst sehr eng der Vorlage, inklusive der neidischen anderen Metzger, und auch bildlich scheint die Ladenzeile auf der Krämerbrücke im MOSAIK dem Holzschnitt im Kurtzweilig Lesen nachempfunden zu sein. Die Auflösung der Episode mit dem Marktbüttel hingegen ist fürs MOSAIK hinzuerfunden worden.
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann (mit abweichender Historienzählung): | ||
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[Bearbeiten] Erfurt und der Esel - 29. Historie
Diese Eulenspiegelei steht im Kurtzweilig Lesen an viel früherer Stelle im Text, wird im MOSAIK aber wegen desselben Schauplatzes Erfurt an die Metzger-Episode angehängt. Der Erstkontakt zwischen Eulenspiegel und den Erfurter Professoren wird im MOSAIK etwas umgestaltet - während die Sache mit dem Esel in der Vorlage eine Idee der Professoren ist, um Eulenspiegel zu übertölpeln, schlägt er sie ihnen im MOSAIK von selbst vor. Die Probe aufs Exempel unterscheidet sich ebenfalls etwas. Während der Lese-Esel im Kurtzweilig Lesen nur an einem Tag bis 3 Uhr nachmittags nichts zu essen bekommt, muss das arme Vieh im MOSAIK ganze drei Tage fasten. Dafür freut es sich im MOSAIK über die zwischen den Buchseiten gefundenen Haferkörner, während es in der Vorlage über deren Abwesenheit verärgert ist - der I-A-I-A-Schrei ist derselbe.
Schön ist, dass man aus der Vorlage den Namen des Erfurter Gasthauses erfährt, in dem Eulenspiegel und die Abrafaxe logieren: Zum Turm.
Die ganze Episode im Kurtzweilig Lesen basiert, wie einige weitere benachbarte Historien, auf einer Passage im Narrenroman Der Pfaffe Amis von dem Stricker aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dort spielt die Szene in England, woher der Pfaffe Amis stammt. Ein Ausschnitt daraus wird im Anschluss an den Text der Historie wiedergegeben, im mittelhochdeutschen Original und in der frühneuhochdeutschen Fassung des Erstdrucks, jeweils mit Übertragung ins Neuhochdeutsche (bei Interesse ausklappbar). Lustigerweise scheint der Lese-Esel im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich dazuzulernen: Kann er in der Originalfassung nur das A, kennt er in der Druckfassung zusätzlich das I.
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann: | ||
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Pfaffe Amis mittelhochdeutsch (Verse 271ff) | Übertragung nach Michael Schilling | Pfaffe Amis im Erstdruck | Eigene Übertragung | ||||
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[Bearbeiten] Bayerisches Dorf (eigentlich: Pommern) - 31. Historie
An dieser Historie wurde fürs MOSAIK so einiges geändert:
- aus Pommern wurde Bayern
- aus einem Totenkopf wurde ein Herz bzw. ein fauler Apfel
- aus St. Brendan (dem Heiligen der Reisenden) wurde der ausgedachte Heilige Malumus
- aus dem Seelenheil wurde ein "guter Zweck"
- aus Ehebrecherinnen wurden Diebe
Dabei ist es insbesondere schade, dass man auf den irischen Seefahrermönch St. Brendan verzichtet hat, denn dieser wäre ein wunderbares Sujet für ein Filmchen in der App MOSAIK Magic gewesen. Wenigstens ist der Name des als Ersatz erfundenen Heiligen ein schönes Wortspiel, denn lateinisch malum ist der "Apfel". Vermutlich unbeabsichtig bedeutet mālumus zudem passenderweise "wir wollen mehr" (1. Person Plural Indikativ von malle "mehr wollen, bevorzugen").
Am Ende der Geschichte im MOSAIK bekommt Eulenspiegel vom Dorfpfarrer als Vorbereitung für den folgenden Streich ein Marienbildnis. Dieses ersetzt die Gemälde aus Flandern, mit denen er sich in Marburg beim Landgrafen als Künstler verdingt.
Die ganze Episode im Kurtzweilig Lesen basiert, wie einige weitere benachbarte Historien, auf einer Passage im Narrenroman Der Pfaffe Amis von dem Stricker aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dort hantiert der Pfaffe Amis ebenfalls mit dem angeblichen Totenschädel des heiligen St. Brendan. Ein Ausschnitt daraus wird im Anschluss an den Text der Historie wiedergegeben, im mittelhochdeutschen Original und in der frühneuhochdeutschen Fassung des Erstdrucks, jeweils mit Übertragung ins Neuhochdeutsche (bei Interesse ausklappbar).
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann: | ||
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Pfaffe Amis mittelhochdeutsch (Verse 360ff) | Übertragung nach Michael Schilling | Pfaffe Amis im Erstdruck | Eigene Übertragung | ||||
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[Bearbeiten] Marburg und die Ahnengalerie - 27. Historie
Bei der Umsetzung dieser Eulenspiegelei gibt es im MOSAIK einige größere Änderungen, dafür aber auch einige hochspezielle Übernahmen. Als Überleitung vom letzten Abenteuer fungiert das Marienbildnis aus Bayern, das Eulenspiegel nun in Marburg als eigene Arbeit ausgibt, statt diverser Gemälde aus Flandern, wie im Kurtzweilig Lesen. Zudem wird ein Austausch mit einem Marburger Torwächter vorangestellt, samt erstmaliger Darstellung Eulenspiegels mit schellenbestückter Narrenkappe und Spiegel in der Hand durch Brabax' Wandzeichnung - auf diese Weise wird die Eulenspiegelfigur aus Heft 1/76 nachträglich eingeführt.
Die Beauftragung durch den Landgrafen folgt wieder stark dem Vorbild, nur dass Eulenspiegel im MOSAIK zweihundert Gulden Vorschuss erhält, nicht nur einhundert - da er sich im MOSAIK jedoch keine zweite Rate holt wie im Kurtzweilig Lesen, kommt die Entlohnung auf dasselbe hinaus. Die Entstehung des aberwitzigen Stammbaums wird im MOSAIK etwas anders geschildert als in der Vorlage: Entnimmt Brabax die Namen im MOSAIK einer alten Schwarte, erfindet sie Eulenspiegel im Kurtzweilig Lesen kurzerhand selbst. Die Namen sind, von einer Ausnahme abgesehen, interessanterweise 1:1 übernommen worden. Eine genaue Besprechung der Stelle, inklusive möglicher Vorbilder für die fiktiven Vorfahren, findet man im Artikel zum Haus Hessen.
Die Auflösung der Geschichte erfolgt im MOSAIK wieder freier, denn es ändert den Streich von angeblich nur ehelich Geborenen sichtbaren Zeichnungen à la Des Kaisers neue Kleider hin zu albernen Krakeleien, die als neue Zeichenkunst, "wie sie in London und Paris längst Mode ist", ausgegeben werden. So fallen auch die Landgräfin, ihre Hofdamen und ihre Närrin weg, und Eulenspiegel wird durch den zufällig zu Gast weilenden Bürgermeister von Magdeburg enttarnt, der mit dem Schalk noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Euelenspiegel entkommt also nicht, wie im Kurtzweilig Lesen, sondern wird in das von Brabax erfundene Narrenkostüm gesteckt und vor den Kadi gezerrt, womit der Übergang zur letzten MOSAIK-Eulenspiegelei geschaffen wird.
Die ganze Episode im Kurtzweilig Lesen basiert, wie einige weitere benachbarte Geschichten, auf einer Passage im Narrenroman Der Pfaffe Amis von dem Stricker aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Dort malt der Pfaffe Amis dem König von Frankreich angeblich lauter biblische Vorfahren an die Wand (König David, Salomo, Absalom), dazu noch Alexander den Großen samt König Dareios und König Poros sowie den Turmbau zu Babel. Ein Ausschnitt daraus wird im Anschluss an den Text der Historie wiedergegeben, im mittelhochdeutschen Original und in der frühneuhochdeutschen Fassung des Erstdrucks, jeweils mit Übertragung ins Neuhochdeutsche (bei Interesse ausklappbar).
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann: | ||
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Pfaffe Amis mittelhochdeutsch (Verse 645ff) | Übertragung nach Michael Schilling | Pfaffe Amis im Erstdruck | Eigene Übertragung | ||||
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[Bearbeiten] Marburg und der Prozess (eigentlich: Lübeck) - 58. Historie
Diese Historie wird im MOSAIK von Lübeck nach Marburg verlegt und bildet den Abschluss der Abenteuer. Im Anschluss an die vorhergehende Episode werden entsprechend auch die Beteiligten am Prozess gegen Eulenspiegel geändert: Statt dem Rat der Stadt Lübeck und dem Kläger Lamprecht agieren im MOSAIK der Landgraf von Hessen, der Bürgermeister von Magdeburg und der Erzbischof von Magdeburg. Eulenspiegel verlangt zudem nicht, nüchtern in den Arsch geküsst zu werden, sondern nur auf den Hintern. Trotzdem spricht man ihn natürlich lieber frei.
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann (mit abweichender Historienzählung): | ||
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[Bearbeiten] Eulenspiegel im Mosa-icke
Für die Fanfiction-Geschichte Die Abrafaxe, und wie Eulenspiegel vorgab, dass er zu Magdeburg von der Laube fliegen wollte von Peter Gräber, die 2001 im Fanzine Mosa-icke 2 erschien, wurde ebenfalls die 14. Historie genutzt (siehe oben). Diesmal lag die Bearbeitung des Stoffes durch Otto Fuhlrott für seine Magdeburger Sagen zugrunde. Über 20 Jahre vor MOSAIK 589 erschienen, werden hier bereits einige der Ideen vorweggenommen, die dann auch in der Jubiläums-Serie umgesetzt wurden.
[Bearbeiten] Eulenspiegel im König der Spaßmacher
Dirk Seliger, der Autor des Fanfiction-Romans Der König der Spaßmacher, nutzte als Vorlagen die von Günter Jäckel bei Reclam Leipzig besorgte Ausgabe des Kurtzweilig Lesen in der Auflage von 1968 sowie das von ihm selbst geschriebene Kinderbuch Die Rückkehr des Till Eulenspiegel mit elf neuen Schelmenstreichen von 2001. Beiden Quellen entlehnte er jeweils zwei Geschichten. Beim Kurtzweilig Lesen waren dies die 32. Historie (Nürnberg) und die 33. Historie (Bamberg). Die restlichen Streiche im König der Spaßmacher wurden für den Roman neu geschaffen.
[Bearbeiten] Bamberg und die Wirtin - 33. Historie
Die Bamberger Wirtin, Frau Kün(i)gine ("Königin"), bekam im König der Spaßmacher den viel passenderen Namen Annabella Brummer, ihr Wirtshaus heißt Zum Bierfass. Außerdem wurden die Preise geändert: Statt für 24/18/12 Pfennige speist man im Roman für 12/6/3 Pfennige; dafür kosten Bier und Tierfutter extra.
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann: | ||
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[Bearbeiten] Nürnberg und die Stadtwächter - 32. Historie
Während dieser Streich im Kurtzweilig Lesen eine reine Narretei von Eulenspiegel darstellt, die keinerlei Begründung benötigt, handelt es sich im König der Spaßmacher um eine Lektion für die dienstvergessenen Nürnberger Scharwächter, ausgelöst durch den Angriff auf die Wirtstochter Marie, den diese weder verhinderten noch verfolgten. Als Dank bekommt Tillmann von Maries Vater einen wichtigen Hinweis, der ihn endlich zur Burg Möhrenfeld führt.
Originaltext im Kurtzweilig Lesen: | Übertragung von Siegfried H. Sichtermann: | ||
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[Bearbeiten] Literatur
- Siegfried H. Sichtermann (Hg.): Hermann Bote. Ein kurzweiliges Buch von Till Eulenspiegel aus dem Lande Braunschweig. Wie er sein Leben vollbracht hat. Sechsundneunzig seiner Geschichten, Berlin: Insel 222023 (EA: Frankfurt 1978).
- Günter Jäckel (Hg.): Ein kurzweilig Lesen von Till Eulenspiegel, geboren aus dem Land zu Braunschweig, wie er sein Leben vollbracht hat. 95 seiner Geschichten, Leipzig: Reclam 91968 (EA: Das Volksbuch vom Till Eulenspiegel. Vollständige Textausgabe des Volksbuches von 1515 und 1519, Leipzig 1955).
- Der Stricker: Der Pfaffe Amis. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, nach der Heidelberger Hs. cpg 341 hg., übs. u. komm. von Michael Schilling, Stuttgart: Reclam 1994.
[Bearbeiten] Externe Verweise
[Bearbeiten] Kurtzweilig Lesen
- Wikipedia-Artikel zum Kurtzweilig Lesen und Till Eulenspiegel selbst
- Originaltext
- Übersetzung ins Neuhochdeutsche
[Bearbeiten] Mögliche Verfasser
- Mögliche Verfasser des Kurtzweilig Lesen
- Hermann Bote
- Hermann Buschius
- Hieronymus Brunschwig
- Thomas Murner
- Hans Grüninger
- Johannes Adelphus
[Bearbeiten] Der Pfaffe Amis
[Bearbeiten] Der Pfaffe von Kalenberg
- Originaltext
- Philipp Frankfurter
- Gundacker von Thernberg, mögliches Vorbild für den Pfaffen von Kalenberg
[Bearbeiten] Facetiae
[Bearbeiten] Das Kurtzweilig Lesen diente als Vorlage für folgende Publikationen
Mosaik ab 1976: 589 Fanfiction: Der König der Spaßmacher, Die Abrafaxe, und wie Eulenspiegel vorgab, dass er zu Magdeburg von der Laube fliegen wollte