Rhampsinit und der Meisterdieb
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Rhampsinit und der Meisterdieb ist eine Sage aus den Historien des Herodot. Sie diente als Vorlage für das Märchen von der schönen Prinzessin und dem klugen Baumeister, das in der Griechenland-Ägypten-Serie des Mosaik ab 1976 erzählt wird.
Die Sage bei Herodot
Im zweiten Buch (Euterpe) seiner Historien befasste sich Herodot mit der Frühgeschichte von Ägypten. Es stellt eine Art Exkurs zur Schilderung der Eoberung des Landes durch den Perserköng Kambyses dar. Die Abschnitte 121 bis 123 behandeln König Rhampsinit, Nachfolger des sagenhaften Proteus (zur Zeit des Trojanischen Krieges) und Vorgänger des Cheops (des Erbauers der großen Pyramide von Gizeh). Beim Namen Ῥαμψίνιτος Rhampsinitos handelt es sich wohl um eine Verballhornung von Pharao Rhamses II. (ägyptisch Ramessu) und der Göttin Neith. Abschnitt 121 ist ganz der Sage vom Schatzhaus des Rhampsinit gewidmet (in der Übersetzung von August Horneffer, überarbeit von Wilhelm Haussig):
Nach Proteus wurde Rhampsinitos König. [...] [121 A] Dieser König war sehr reich, und keiner der späteren Könige besaß mehr Geld als er oder kam ihm darin auch nur nahe. Nun wollte er seine Schätze an einem sicheren Orte verwahren und baute eine steinerne Kammer, deren eine Wand an die Außenseite des Königspalastes stieß. Der Erbauer aber hinterging ihn und fügte die Steine so, daß einer von einem oder zwei Männern leicht aus der Wand herausgenommen werden konnte. Und als die Kammer fertig war, speicherte der König seine Schätze darin auf. Nach einiger Zeit fühlte der Baumeister sein Lebensende herannahmen und rief seine Söhne - er hatte deren zwei - zu sich. Er erzählte ihnen, wie er für sie gesorgt und sie reich gemacht hätte, indem er beim Bau der königlichen Schatzkammer jene List angewandt hätte. Genau erklärte er, wie der Stein herauszunehmen sei, und gab ihnen die Maße, wo er läge. Wenn sie es wohl behielten, sagte er, würden sie zu Schatzmeistern des Königs werden. [121 B] Er starb, und die Söhne machten sich, ohne lange zu zaudern, eines Nachts auf, gingen zum Königspalast, fanden den Stein in der Wand der Kammer, hoben ihn leicht heraus und nahmen sich eine Menge von den Schätzen. Als nun der König einmal in die Kammer ging, wunderte er sich, daß in den Gefäßen Gold fehle, und konnte doch niemandem die Schuld geben, denn die Siegel waren unverletzt und die Türe verschlossen. Wie nun die Schätze allmählich immer mehr abnahmen - denn die Diebe hörten mit ihren Einbrüchen nicht auf -, tat er folgendes. Er ließ Schlingen machen und sie rings um die goldgefüllten Gefäße legen. Als nun die Diebe zu ihrer gewohnten Zeit herbeikamen und einer von ihnen in die Kammer hineinstieg und zu den Gefäßen ging, fing er sich sofort in der Schlinge. Als er seine böse Lage gewahr wurde, rief er gleich seinen Bruder, sagte ihm, was geschehen sei, und hieß ihn eiligst hereinsteigen und ihm den Kopf abschlagen, damit man ihn nicht erkenne und auch den anderen ums Leben bringe. Das schien diesem wohlgesprochen. Er tat, wie ihm jener geheißen, setzte den Stein an seinen Platz und ging heim mit dem Kopfe seines Bruders. [121 C] Als es Tag wurde, ging der König in die Kammer und erschrak über den kopflosen Leichnam in der Schlinge; denn die Kammer war unverletzt, und keine Öffnung zum Hineingehen und Herausgehen war vorhanden. Um sich Klarheit zu verschaffen, tat er folgendes. Er ließ den Leichnam an die Stadtmauer hängen, stellte Wächter dabei auf und befahl ihnen, wenn sie jemanden um den Toten weinen oder klagen sähen, ihn zu ergreifen und vor ihn zu führen. Als nun der Leichnam des Diebes dahing, wurde seine Mutter sehr traurig; sie sprach zu ihrem überlebenden Sohne und gebot ihm, es auf irgendeine Weise möglich zu machen, den Leib des Bruders loszumachen und herbeizubringen. Wenn er ihr nicht gehorche, würde sie zum König gehen, drohte sie, und anzeigen, daß er die Schätze habe. [121 D] Weil die Mutter so heftig in ihn drang und er sie durch nichts von ihrem Verlangen abbringen konnte, ersann der Sohn eine List. Er rüstete seine Esel, füllte Schläuche mit Wein, lud sie den Eseln auf und zog davon. Als er bei den Wächtern des hängenden Leichnams vorüberkam, zog er an zwei oder drei Zipfeln seiner Schläuche und löste die Knoten. Der Wein floß heraus, und er schlug sich laut schreiend an den Kopf, als wüßte er nicht, an welchen Esel und Schlauch er sich zuerst machen sollte. Als die Wächter die Menge Wein entlaufen sahen, kamen sie mit Krügen an die Straße gelaufen, fingen den fließenden Wein auf und freuten sich dessen. Er stellte sich zornig und schmähte sie alle der Reihe nach; aber die Wächter suchten ihn zu begütigen, und nach einer Weile tat er, als sei sein Zorn verflogen. Schließlich führte er die Esel von der Straße und brachte die Lasten wieder in Ordnung. Sie sprachen weiter miteinander, und als ihn einer durch Späße zum Lachen brachte, gab er ihnen noch einen Schlauch. Gleich lagerten sie sich zum Trinken, nahmen auch ihn und hießen ihn mit ihnen trinken. Er ließ sich bewegen und blieb dort. Als sie ihm nun beim Trinken alle Freundlichkeiten erwiesen, gab er ihnen noch einen weiteren Schlauch. Sie sprachen dem Wein wacker zu, wurden trunken und, bewältigt vom Schlaf, blieben sie dort, wo sie getrunken hatten, liegen. Als es Nacht war, nahm nun jener den Leib des Bruders herab und, um ihnen einen Schimpf anzutun, schor er allen Wächtern die rechte Wange kahl. Dann lud er den Leichnam auf seine Esel und trieb sie nach Hause. So hatte er den Wunsch seiner Mutter erfüllt. |