Märchen von der schönen Prinzessin und dem klugen Baumeister

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Die Prinzessin und der Architekt fliehen.

Das Märchen von der schönen Prinzessin und dem klugen Baumeister wird in der Griechenland-Ägypten-Serie des Mosaik ab 1976 erzählt.

Das Märchen im MOSAIK

Sibylla ist von Skrotonos im ehemaligen Palast der Königin Nofretete eingesperrt worden. Dort mangelt es ihr materiell an nichts, doch beklagt sie natürlich den Verlust ihrer Freiheit. Sie vergleicht sich mit dem Vogel, der in ihrem Gemach in einem goldenen Käfig gehalten wird; diesen lässt sie frei, doch wer befreit sie selbst? Um sie zuverschtlicher zu stimmen, erzählt ihr ihre Zofe das alte Märchen von der schönen Prinzessin und dem klugen Baumeister:

Vor langer Zeit lebte ein sehr reicher König, der aber seine wunderschöne Tochter für seinen größten Schatz hielt. Niemand außer ihm durfte sie sehen. Er ließ einen hohen fensterlosen Turm errichten und sperrte sie darin ein. Die Versorgung seiner Tochter mit allem, was sie sich wünschte, übernahm er selbst. Nur ihren größten Wunsch, die Freiheit, erfüllte er ihr nicht.
Der Architekt des Turmes war von großer Neugierde geplagt und wollte die Schönheit der Prinzessin mit eigenen Augen erblicken. Zu diesem Zweck fügte er während des Baus einen losen Stein ins Mauerwerk ein. Jede Nacht schlich er sich durch diesen geheimen Zugang in den Turm und sprach bis zum Morgengrauen mit der Prinzessin. Eines Tages vergaß er seine Perücke, die am nächsten Morgen vom König gefunden wurde. Da seine Tochter nichts verriet, ließ er den Turm von hundert Soldaten bewachen.
Der Architekt, dem die Prinzessin fehlte, verkleidete sich als Händler und zog mit einem Esel voller Weinschläuche zum Turm. Dort angekommen, zerschnitt er diese und jammerte über sein angebliches Unglück. Die Soldaten eilten herbei und betranken sich mit dem aufgefangenen Wein. Er und die Prinzessin flohen gemeinsam aus dem Turm und versteckten sich irgendwo im Land. Der König riss sich am folgenden Morgen alle Haare aus und schrie einen ganzen Tag lang vor Wut. Nachdem eine landesweite Suche nach der Prinzessin erfolglos blieb, ließ er verkünden, dass er demjenigen sein Gewicht in Gold aufwiege, der seine Tochter zurückbrächte. In wahrheit wollte er demjenigen freilich eigenhändig den Kopf abschlagen.
Der wütende Pharao bei der Haarpflege.
Eines Tages erschien der Architekt mit einer großen Kiste, in der sich angeblich die Prinzessin befände, vor dem König. Auf dessen Verlangen öffnete er die Kiste und tausend Mäuse kamen heraus. In panischer Furcht floh der König vor den Mäusen außer Landes. Dass er solche Angst vor Mäusen hatte, wusste niemand außer ihm selbst und seiner Tochter. Das Volk wählte den Architekten zum neuen König und die Prinzessin wurde seine Frau. Sie regierten "millionenmal Millionen Jahre" über ihr glückliches Volk.

So richtig vermag das Märchen Sibylla nicht aufzumuntern, doch kurz darauf übertölpelt sie die beiden Wächter ihres Gemachs, indem sie sie wie der schlaue Baumeister aus dem Märchen mit Wein betrunken macht. Dabei bleibt offen, ob diese Idee vom Löwen Sachmet oder von Sibylla selbst kommt. Kaum liegen die Wachen jedenfalls im Saufkoma, lässt sie durch Sachmet das Gitter ihres Zimmers herausreißen und flieht.

Hintergrund

Die Vorlage für dieses Märchen ist die Sage Rhampsinit und der Meisterdieb aus den Historien des Herodot (5. Jhd. v.u.Z.). Sie wurde umgearbeitet, um sie kindgerecht und romantisch zu gestalten, und der Meisterarchitekt und der Meisterdieb wurden in einer Figur zusammengefasst. Doch wesentliche Elemente der Geschichte blieben erhalten: der lose Stein, die List mit den zerschnittenen Weinschläuchen, die Hochzeit mit der Königstochter. Im Original befinden sich im Schatzhaus aber wirkliche Schätze; nicht der Architekt selbst, sondern seine beiden Söhne dringen immer wieder in die Kammer ein; statt seiner Perücke hinterlässt der Meisterdieb den geköpften Körper seines Bruders (der sich in einer Schlinge verfangen hatte); die Prinzessin kommt erst später als Köder ins Spiel, um den Dieb zu fassen, wird aber von diesem nicht entführt. Das Motiv mit den Mäusen ist neu.

Bei Pausanias (2. Jhd. u.Z.) findet sich eine ganz ähnliche Geschichte über die Brüder Trophonios und Agamedes, die dem König Hyrieus von Böotien eine Schatzkammer bauten und ihn dann durch einen nur ihnen bekannten Gang bestahlen. Hyrieus ließ wie Rhampsinit Schlingen in der Kammer auslegen, in denen sich beim nächsten Raubzug der beiden Brüder Agamedes verfing. Trophonios schnitt ihm den Kopf ab, um seine Identität zu verbergen, und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Später wurde er zu einem Orakelheiligen der böotischen Stadt Lebadeia. Diese Legende ist offensichtlich von Herodot inspiriert.

Das Märchen wird in folgendem Mosaikheft erzählt

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