Diskussion:Der Meisterdieb

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[Bearbeiten] Lichterkrebse und Banu Sasan

Datei:Tawwabun.jpg

Das mit der Schildkröte mit einer Kerze auf dem Rücken klingt ja genau wie Der Meisterdieb. Irre. Cooles Wandermotiv. Tilberg 15:29, 31. Mai 2022 (CEST)

Banu Sasan nennt sich diese Diebesgruppe mit den beherzten & bekerzten Schildkröten. Tilberg 22:37, 31. Mai 2022 (CEST)
mehr dazu. Es handelt sich um Forschung von Bosworth (der aus der Fußnote, Bhur). Tilberg 22:40, 31. Mai 2022 (CEST)
Artikel von Bosworth in der EI - Abu Dulaf, eine Primärquelle - noch was Tilberg 22:49, 31. Mai 2022 (CEST)
Hauptquelle für die Kerzenkröten als Diebestaktik scheint Jaubari im 13. Jhd zu sein. Der hat aber wohl auch nur kompiliert, was er so alles über Diebe gelesen hat. Weiß Gott, wo das mit den Kerzen herstammt. Ich halte das jedenfalls für ein Märchenmotiv, das einmal hier im Orient aufpoppt und einmal in Grimms Märchen; das hängt sicher irgendwie zusammen, aber wer weiß wie. Und dann taucht das Motiv natürlich abgewandelt und wohl vom Grimmschen Märchen stammend bei Huckepuck im Mosaik auf. Tilberg 23:17, 31. Mai 2022 (CEST)
Hier mal ein Beispiel für das Motiv bei einem albanischen Märchen über einen Zigeuner-Oberpriester. Die Banu Sasan oben klingen ja auch sehr nach typischem Fahrenden Volk. Tilberg 00:12, 1. Jun. 2022 (CEST)
Das Meisterdieb-Märchen gibt es auch bei Bechstein. Sowohl Grimm als auch Bechstein haben es von einem thüringischen Mundartsammler, Georg Friedrich Stertzing. Dort ist die Sache mit den Kerzenkrebsen drin. Interessant: Eine sehr ähnliche frühere Form ist ein italienisches Märchen von Gianfrancesco Straparola aus dem 16. Jhd. über den Trickster Cassandrino. Praktisch haargenau dieselbe Geschichte ....... aber ohne Kerzenkrebse! Die müssen irgendwann von woanders in das Märchen gelangt sein, das Stertzing niederschrieb. Ganz so überraschend ist das nicht, denn das Motiv fehlt ja auch bie der Urform des Meisterdiebs bei Herodot (Rhampsinit und der Meisterdieb). Ob es ein Wandermotiv speziell aus der Zigeunerüberlieferung ist? Das wegen des ähnlichen Sujets irgendwann in das Meisterdiebmärchen eingearbeitet wurde? Ich bleibe dran! Tilberg 00:37, 1. Jun. 2022 (CEST)
Hier noch eine Meisterdiebvariante aus Norwegen[1]. Die Übertölpelung des Pfarrers ist auch hier dabei, dem vorgegaukelt wird, er komme in den Himmel, wenn er in den Sack steigt. Aber auch hier: keine Kerzenkrebse. Tilberg 00:56, 1. Jun. 2022 (CEST)
Hier noch die Vorlage für Grimm und Bechstein, das thüringische Märchen: [2]. Die Stelle mit den Kerzenkrebsen ab S. 297. Tilberg 01:07, 1. Jun. 2022 (CEST)
[3] zeigt, daß das Grimm-Märchen auch im englischen Sprachraum bekannt ist. Vermutlich kein unabhängiger Beleg für unser Motiv. Tilberg 12:23, 1. Jun. 2022 (CEST)
[4] Das hier ist sehr spannend. Da ist tatsächlich von einem Zigeuenermärchen die Rede, das die Kerzenkrebse enthählt. Ab S. 118. "Die zwei Diebe", ein Zigeunermärchen aus Rumänien, publiziert 1878. Oh Mann! Wir kommen näher. Tilberg 12:29, 1. Jun. 2022 (CEST)
Das ist natürlich NACH Grimm erschienen, kann also auch darauf beruhen. Kann aber auch genauso gut ein echt altes Zigeunermärchen sein, das wiederum die Grimm-Stertzing-Variante beeinflußte. Es ist auch insofern spannend, als es wie aus zwei Teilen zusammengepappt erscheint. Erst die ganzen Motive aus Rhampsinit (inkl. abgeschnittenem Kopf und trunkenen Wachen), und erst danach liefert der Dieb dem König mehrere Proben seiner Kunst, darunter die Pfarrer-Kerzenkrebs-Sache. Als ob zwei Märchen mit ähnlichem Sujet (meisterhafter Dieb) zusammengefügt wurden. Tilberg 12:48, 1. Jun. 2022 (CEST)
Hier der ganze Text dieses rumänischen Zigeunermärchens. Und hier die uns interessierende Passage:
And he went to the thief. 'Well, my fine fellow, I will give you my daughter, and you shall become king in my stead, if you will steal the priest for me out of the church.' Then the thief went into the town, and got three hundred crabs and three hundred candles, and went to the church, and stood up on the pavement. And as the priest chanted, the thief let out the crabs one by one, each with a candle fastened to its claw; he let it out. And the priest said, 'So righteous am I in the sight of God that He sends His saints for me.' The thief let out all the crabs, each with a candle fastened to its claw, and he said, 'Come, O priest, for God calls thee by His messengers to Himself, for thou art righteous.' The priest said, 'And how am I to go?' - 'Get into this sack.' And he let down the sack; and the priest got in; and he lifted him up, and dragged him down the steps. And the priest's head went tronk, tronk. And he took him on his back, and carried him to the king, and tumbled him down. And the king burst out laughing. And straightway he gave his daughter to the thief, and made him king in his stead.
Südslawische Variante: Vom Burſchen, der ſich auf Zigeunerſtreiche verſtand. Publiziert 1883. Mit Pfarrer und Kerzenkrebsen:
Der Graf hielt sein Läugnen nur für Verſtocktheit und erſann etwas, um den Pfarrer zu züchtigen. „Der Zigeuner hat mich um den Ring gebracht, er wird auch dies ausführen können,” dachte er ſich, ließ den Zigeuner ſelbſt vor ſich rufen und ſagte zu ihm: „Wenn du den Pfarrer ſplitternackt in meinen Saal ſchaffſt, bekommſt du noch tauſend Gulden.“ — Antwortete der Zigeuner: „Soll geſchehen.“ — Der Zigeuner machte ſich gleich auf den Weg zum Fluß, ſieng eine große Menge Krebse, kaufte bei einem Lebzeltner eine Menge Wachslichtel und begab ſich unbemerkt in die Kirche. Dort klebte er auf jeden Krebs ein Kerzlein, zündete es an und ließ den Krebs frei. Die Dunkelheit war ſchon angebrochen und die Krebse ſchlurrten in der Kirche wie Geiſter herum. Vor die Kirchenthüre legte er noch einen großen, langen Sack, ſtellte ſich dann auf den Hochaltar hinauf und wartete der kommenden Dinge. Als der Pfarrer zum Ave Maria Geläute in die Kirche beten kam, ließ ſich der Zigeuner vom Altar herab vernehmen: „Wer in den Himmel kommen will, werfe das irdiſche Gewand ab und krieche in den Sack dort hinein.“ Der Pfarrer hörte dieſe Worte und dachte ſich: „Eine ſo ſchöne Gelegenheit in den Himmel zu kommen, dürfte nicht bald ſich wiederfinden, alſo ſchnell in den Sack hinein.“ — Im Nu war er drinnen; der Zigeuner ſtieg ſchnell von Altar herab und band den Sack feſt zu. Dann lud er ihn auf den Rücken, gieng ins Schloß und ſchleifte den Sack über die Treppe hinauf in den Saal, der ſeitlich beleuchtet war und wo eine Menge hoher Herrſchaften darauf wartete, den Pfarrer in ſeiner ganzen Nacktheit zu ſehen. Der Zigeuner band den Sack auf, der Pfarrer lugte heraus, ſah alles hell erleuchtet, dachte, er ſei wirklich im Himmel angelangt, und kroch ſchleunigſt aus dem Sacke heraus. Die Herren brachen bei ſeinem Anblick in ein ſchallendes Gelächter aus. Sofort erkannte der Pfarrer den Ort, wo er ſich befinde und verkroch ſich unterm Tiſch.

Tilberg 13:27, 1. Jun. 2022 (CEST)


So, hier mal wieder was zum eher orientalsichen Teil der Überlieferung, mit Schildkröten statt Krebsen: [5] Tilberg 13:56, 1. Jun. 2022 (CEST)

In der Märchenforschung ist das Motiv natürlich bekannt, hätte ich mir gleich denken können: Lichterkrebse bzw Candles on the crayfish, AaTh/ATU 1740. Tilberg 07:28, 23. Jun. 2022 (CEST)

Hier der Eintrag in der Enzyklopädie der Märchen. Man beachte: Eine Menge der von mir oben zusammengetragenen Beispiele werden auch hier erwähnt, inkl. der Verknüpfung mit dem Motiv AaTh 1525 (Meisterdieb). ABER (haha!) die Verbindung mit den Banu Sasan scheint hier nicht bekannt zu sein! Da hätten wir hier tatsächlich Forschungsarbeit geleistet. Tilberg 07:44, 23. Jun. 2022 (CEST)

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Hier ein Link zu einschlägiger Literatur: Leopold Kretzenbacher: Meisterdieb-Motive. I. Anton Bruckner und die Lichterkrebse. II. Frühe italienische und französische Zeugnisse zum Humanistenschwank vom Betrug mit den Lichterkrebsen, in: Leopold Schmidt: Wunder über Wunder. Gesammelte Studien zur Volkserzählung = Raabser Märchen-Reihe 1, Wien 1974 (ab S. 137) Tilberg 07:53, 23. Jun. 2022 (CEST)

Aufhänger für diesen Artikel ist, daß unsere Kerzenkrebs-Geschichte in einer Anekdote vom jungen Anton Bruckner wieder auftaucht. Irre. Tilberg 07:58, 23. Jun. 2022 (CEST)
Äh, ich finde deine Begeisterung für das Kerzenschildkrötenmotiv bewundernswert, aber wo ist genau der Bezug zum Mosaik? Kommt das da irgendwo vor? Nafi 10:41, 23. Jun. 2022 (CEST)
Aber ja doch, steht doch auch hier weiter oben. Bei Huckepuck. das basiert mMn auf dem Meisterdieb-Märchen von den Brüdern Grimm, und speziell auf dem Lichterkrebsmotiv daraus. Auch wenn es im Mosaik keine Krebse sind, sondern ein Sumpf. Tilberg 11:19, 23. Jun. 2022 (CEST)
Eine Variante des Motivs, die bei Aarne-Thompson ebenfalls unter Nr 1740 abgehandelt wird, ist die mit brennenden Kerzen bestückte Ziege, die ein ganzes Dorf abfackelt. Das haben wir ebenfalls in der Runkelserie mit der Leuchtfeuerziege. Zufall? Tilberg 13:46, 23. Jun. 2022 (CEST)

Hier mal die oben in der Enzyklopädie der Märchen erwähnte Sage über die ERroberung der Burg Klauberg in der Wetterau:

Von dem Glauberg
Zur Zeit als die Römer in Deutschland lagen, wohnte ein Ritter auf dem in der Wetterau gelegenen Schloße Klauberg und hielt die Feste wohlverwahrt mit Kämpfern. Ein Fürst, Conrad von Isenburg, beschloß die Feste zu nehmen: in einer Nacht nahm man eine Menge Krebse, hing ihnen brennende Lämpchen an und ließ sie im Thale umher kriechen. Die Besatzung, überrascht von einem solchen seltsamen Schauspiel, begab sich, neugierig zu sehen, wie es damit beschaffen, nach und nach aus der Feste und selbst die äußersten Wächter derselben verließen ihre Posten; alsbald drangen die versteckten Krieger hervor, und nahmen die Feste in Besitz. Konrad, der gelobte, wenn ihm diese List gelänge, ein Kloster in dieser Gegend zu bauen, bauete alsbald ein Kloster, und noch jetzt steht daselbst das Konrads-Kloster. Die Klauburg liegt in ihren Trümmern.

Zitiert nach Heriner Boehncke und Hans Sarkowicz (Hgg.): Der fremde Ferdinand. Märchen und Sagen des unbekannten Grimm-Bruders = Die andere Bibliothek Band 428, Berlin, Aufbau-Verlag 2020.
Die haben das aber auch nur aus Gerd Hoffmann und Heinz Rölleke (Hgg.): Der unbekannte Bruder Grimm. Deutsche Sagen von Ferdinand Philipp Grimm (aus dem Nachlaß), Düsseldorf/Köln, Diederichs 1979. Tilberg 15:27, 24. Jun. 2022 (CEST)

Auch wenn man sich wünschen würde, daß diese Burgeroberung eine Mosaikquelle gewesen könnte, kann sie den Mosaikmachern nicht bekannt gewesen sein. Sie erschien ja erst 1979 erstmals in einer Märchensammlung, die aus Ferdinand Grimms Nachlaß herausgegeben wurde. Aber nett zu sehen, daß nicht nur die Mosaikautoren die Idee hatten, sich von der Lichterkrebs-Geschichte zu einer Burgeroberung inspirieren zu lassen. Tilberg 15:29, 24. Jun. 2022 (CEST)

[Bearbeiten] Meisterdieb in Island

CXXVII. Rikkur, der listige Baumeister.
Nach dem Manuskripte von Steingrimur Thorsteinsson.

Im Auslande lebte einst ein reicher Fürst, der eine einzige
Tochter besaß. Da ihm sein Schloß nicht mehr schön schien,
so ließ er sich eine neue Halle bauen und in dieser ein Zimmer,
in dem er sein Geld und seine Kostbarkeiten aufbewahren
wollte. Die eine Seite dieser Schatzkammer hatte ein Bau-
meister, namens Rikkur, zu bauen, der seinen Sohn, gleichfalls
Rikkur genannt, zum Gehilfen hatte. Um später unbemerkt in
dieses Zimmer zu kommen, setzte Rikkur der Alte einen Mauer-
stein und ein Brett nur lose ein — doch niemand wußte dies,
wie nur er und sein Sohn. Diesem sagte er, daß er in der
Schatzkammer heimlich nach ihm suchen solle, falls er einmal
ungewöhnlich lange ausbleibe. Der Fürst merkte, daß ihm
unbegreiflicherweise immer viel Geld gestohlen wurde, und
um den Dieb zu entdecken, ließ er ein Faß mit flüssigem
Pech vor der Geldkiste in die Erde graben. — Eines Tages
kommt Rikkur der Alte nicht nach Hause. Sein Sohn macht
sich mit einem Sacke und einem Lichte auf, um heimlich den
Vater zu suchen. Wie er auf dem gewohnten Wege in die
Schatzkammer eindringt, findet er den Vater in dem Pechfasse,
so daß nur der Kopf herausragt. An Rettung sei nicht zu
denken, meint der Alte, denn wenn er versuche, ihn heraus-
zuziehen, würde er nur vergeblich gequält und zerrissen
werden. Damit der Sohn und die ganze Familie nicht auch
dem sicheren Tode verfalle, solle ihm der Sohn den Kopf ab-
schlagen und ihn zu sich stecken. Da kein anderer Ausweg
möglich ist, so erfüllt Rikkur den Wunsch des Vaters, steckt
den Kopf in den Sack und geht nach Hause. Wie der Fürst
am andern Morgen die kopflose Leiche in der Tonne findet,
läßt er sie reinigen und dann durch alle Gassen der Stadt
tragen. Zwei Henkersknechte müssen in einem fort den Leich-
nam prügeln, und die übrigen Leute des Zuges müssen genau
beobachten, wer über diesen Anblick betrübt scheint. Als sie
an Rikkurs Hause vorbeikommen, und die Mutter sieht, wie
der Leichnam ihres Mannes behandelt wird, stößt sie einen
Schrei aus. Im gleichen Augenblicke schneidet sich Rikkur
bei der Arbeit ins Bein und läßt die Wunde von der Mutter
verbinden. Der Fürst faßt aber trotzdem Argwohn gegen
Rikkur. Vor seinem Hause wird darum ein Galgen errichtet,
der Leichnam daran gehangen und von zwei Henkersknechten
fortwährend gepeitscht. Die alte Frau erklärt, diesen Anblick
nicht ertragen zu können. Rikkur müsse sehen, wie er die
Leiche vom Galgen bekomme. Der junge Mann geht nun in
einen Kleiderladen und kauft sieben schwarze Mäntel und
mietet sieben braune Pferde. Dann bestreicht er die Mäntel
außen mit Leim und läßt sie von einem Goldschmied mit
Goldstaub bestreuen, so daß die Mäntel prächtig leuchten.
Draußen am Strande lag ein Schiff mit sechs Mann Besatzung,
die auf günstigen Wind warteten. Diese mietet Rikkur, hüllt
sich mit ihnen in die goldigen Mäntel und reitet dann in der
Dunkelheit mit seiner Schar zum Galgen. Sowie die Henkers-
knechte diese glänzende Erscheinung sehen, werden sie so er-
schrocken, daß sie davonlaufen. Nun nimmt Rikkur die
Leiche vom Galgen, gibt sie den Schiffern und bittet diese,
sie draußen in der See zu versenken. — — — Als auf
diese Weise der Fürst wieder nichts in Erfahrung bringen
kann, läßt er bekannt machen, daß in der ganzen Stadt
acht Wochen hindurch kein Mensch Fleisch essen oder ver-
kaufen dürfe. Nur ein einziges Kalb, das in seinem Vorrats-
hause bewacht würde, sei für achttausend Gulden verkäuf-
lich. Denn er meint, daß der Käufer des Kalbes, der so viel
Geld aufbringen könne, dann sicher auch der Dieb seiner
Schatzkammer sei. Wie drei fleischlose Wochen vergangen
sind, erklärt die Mutter Rikkurs, daß sie nicht länger ohne
Fleisch leben könne — sie wolle das Kalb lieber kaufen. Doch
davon will der Sohn nichts wissen. Er nimmt zwei Flaschen
vom stärksten Weine und geht mit ihnen heimlich eines Abends
zum Vorratshause. Er zecht mit den Wächtern, bis sie trunken
zu Boden fallen, dann tötet er das Kalb und bringt das Fleisch
seiner Mutter. Wie die Wächter erwachen, teilen sie dem
Fürsten den Diebstahl mit. Nun sendet dieser zwanzig Leute
durch die Stadt, die überall versuchen müssen, ob sie nicht
irgendwo etwas Fleisch bekommen können. Einer von diesen
kommt zur Mutter Rikkurs, wie der Sohn gerade nicht zu
Hause ist. Die Alte schlägt ihm zuerst seine Bitte ab, wirft
ihm aber schließlich ärgerlich ein Rückenstück zu. Der Mann
geht mit dem Fleischstück in der Hand zur Türe hinaus, doch
in demselben Augenblicke kommt Rikkur ins Haus, überblickt
das Geschehene, erschlägt den Mann und begräbt ihn heimlich.
Am Abend kommen nur neunzehn Männer zum Fürsten zurück,
und niemand weiß, wo der Fehlende geblieben ist. Nun be-
fragt der Fürst die Wächter, wie alt wohl der Mann sein könne,
der sie mit dem Weine berauscht habe. Sie meinen zwischen
zwanzig und dreißig Jahren. Jetzt werden vom Fürsten alle
jungen Leute der Stadt zwischen achtzehn und vierzig Jahren
zu einem großen Festgelage eingeladen. Wie sie alle betrunken
sind, wird ihnen ein großer Saal als gemeinsames Schlafgemach
angewiesen. Rikkur, der auch unter den Gästen war, überlegt
in der Nacht, was wohl auf dem Boden, zu dem vom Saal
aus eine Treppe führt, verborgen sein könne. Er beschließt,
die Sache zu untersuchen. Wie er hinaufkommt, findet er,
daß etwas Nasses ihm durchs Gesicht streicht. Er geht wieder
hinunter, beschließt aber zum zweiten Male, den Gang nach
oben zu unternehmen. Auch jetzt hat er das gleiche Gefühl.
Er nimmt einen Spiegel hervor und sieht nun, daß er im
Gesicht zwei rote Striche hat, die auf keine Weise sich ent-
fernen lassen. Nun geht er zum dritten Male hinauf, läßt sich
durch den nassen Strich durchs Gesicht nicht abhalten zu suchen,
bis er einen Menschen findet mit einem Farbtopfe in der Hand.
Nach kurzem Ringen entwindet er dem Unbekannten das Gefäß,
steigt wieder hinunter und streicht nun allen Männern im
Saale drei Striche durchs Gesicht. Am andern Morgen sucht
der Fürst seine Tochter auf. Denn diese hatte sich auf Befehl
des Vaters oben auf dem Boden mit einem Farbtopfe verstecken
und jedem, der von den Gästen es wagen sollte, zu ihr zu
kommen, einen Farbstrich durchs Gesicht geben müssen. Das
Mädchen erzählt nun, daß es entweder drei Männer auf diese
Weise gezeichnet habe, oder daß derselbe Mann dreimal ge-
kommen sei. Nun ist der Fürst gewiß, den kühnen Dieb zu
entdecken. Wie er jedoch in den Saal tritt, haben alle seine
Gäste drei rote Striche im Gesicht. Als auch diese letzte List
mißglückt ist, überlegt der Fürst, daß auf jeden Fall der Dieb
ein selten wachsamer und kluger Mann sein müsse. Ein
tüchtigerer Gatte würde für seine Tochter wohl nicht zu finden
sein. Er ladet nun nochmals alle jungen Leute zum Gastmahl,
und hier verkündigt er, daß er dem Diebe, der aus all diesen
Schlingen so klug sich gezogen habe, seine Tochter zur Frau
geben wolle. Nun gibt sich Rikkur zu erkennen, und die
Hochzeit wird gefeiert.

Köhler bespricht diesen Schwank, der bis zu Herodots
Erzählung vom Schatze des Rhampsinit zurückgeht, ausführlich
bei Campbells schottischem Märchen „Vom schlimmen Burschen,
dem Sohne der Witwe" (Kl. Schr. S. 198 ff.). Er gibt hier von
den verschiedenen Bearbeitungen, die dieser Stoff erfahren hat,
ausführliche Inhaltsangaben, so daß wir nach ihnen wohl im
stande sind, zu beurteilen, welche Quelle dieser isländischen
Form des Schwankes wohl zu Grunde liegen mag. Zug um
Zug unserer Erzählung findet sich in einer Novelle des Floren-
tiners Ser Giovanni, der seine Novellen im Jahre 1378 zu
schreiben begann (Pecorone 9, 1). Ich gebe die Inhaltsangabe
wörtlich nach Köhler wieder:
„Bindo von Florenz baut einem Dogen von Venedig einen
Palast nebst Schatzkammer mit einem beweglichen Stein in der
Mauer. Kurze Zeit darauf gerät er in Armut und bestiehlt
mit seinem Sohne Richard den Schatz. Der Doge entdeckt
durch ein Strohfeuer jene Öffnung und läßt einen Pechkessel
darunterstellen und siedend erhalten. Beim nächsten Besuch
fallt der Vater hinein und läßt sich vom Sohne den Kopf ab-
schneiden. Am folgenden Tage wird die Leiche durch die
Straßen geschleppt, und weil die Mutter laut jammert, haut
sich der Sohn in die Hand. Hierauf wird die Leiche an den
Galgen gehängt und bewacht. Auf das Drängen der Mutter,
sie zu rauben, steckt der Sohn nachts zwölf Lastträger in
Mönchskutten und gibt ihnen Masken und Fackeln, steigt selbst
zu Pferde, maskiert, schwarzgekleidet und mit Fackeln, und
überrascht so die Wache, die ihn für Lucifer mit Höllengeistern
hält und die Leiche rauben läßt. Jetzt läßt der Doge zwanzig
Tage lang kein frisches Fleisch in Venedig verkaufen und dann
nur ein Kalb schlachten und das Pfund Fleisch davon für einen
Gulden feil bieten. Der Verkäufer soll merken, wer davon
kauft, denn der Doge nimmt an, daß der Dieb auch lecker
ist und es kaufen wird. Niemand kauft, aber die Mutter
Richards will gern davon haben. Richard verkleidet und beladet
sich mit Eiswaren und Wein und begibt sich nachts an den
Ort, wo das Fleisch verkauft wird, und läßt dort — unter
einem Vorwande — den Wein zurück, an dem sich die Wächter
berauschen und einschlafen, und stiehlt dann das ganze Fleisch.
Nun läßt der Doge hundert Arme bettelnd herumgehen, mit
dem Auftrage, aufzupassen, wo einer etwa Fleisch bekomme.
Wirklich gibt Richards Mutter einem Armen ein Stück Fleisch,
aber der Sohn begegnet ihm noch auf der Treppe und schlägt
ihn tot. Jetzt schlägt einer der Räte des Dogen vor, nachdem
man vergeblich durch Leckerei versucht habe, durch Üppigkeit
den Dieb auszukundschaften zu suchen. Fünfundzwanzig ver-
dächtige Jünglinge, darunter Richard, werden in den Palast
eingeladen und erhalten ihre Betten in einem Saale, wo auch
die schöne Dogentochter schläft. Sie hat heimlich einen Topf
mit schwarzer Farbe bei sich und soll dem, der zu ihr ans
Bett kommt, das Gesicht schwärzen. Keiner wagt es, dem
Bett der Schönen zu nahen, nur Richard umarmt sie zweimal.
Das zweite Mal merkt er, daß sie ihm das Gesicht schwärzt
Er nimmt nun den Topf und macht sich noch vier Striche, allen
andern aber zwei, drei, zehn Striche. So erscheinen am andern
Morgen alle gezeichnet, und der Anschlag des Dogen ist vereitelt
Da verspricht der Doge dem Täter die Hand seiner Tochter und
Verzeihung, und nun gesteht Richard alles" (Kl. Sehr. S. 203/4).
Dies ist der Inhalt der italienischen Novelle, und von
ihm weicht der isländische Schwank nur in einzelnen Neben-
sächlichkeiten ab. Im Isländischen stiehlt der Sohn nicht
mit dem Yater, sondern sucht ihn erst auf, wie er einmal
wider Erwarten lange von Hause fortbleibt. Bei Giovanni haut
sich der Sohn in die Hand, nach der isländischen Erzählung
ins Bein. Zwölf Lastträger als Mönche verkleidet und er selbst
in schwarzem Gewände zu Pferd erschrecken im Italienischen
die Wächter am Galgen — im Isländischen sind es sieben be-
rittene Leute in Goldgewändern. Nur zwanzig Tage sollen die
Venetianer kein Fleisch essen oder sonst von dem einen Kalbe
ein Pfund Fleisch für einen Gulden kaufen, nach der isländischen
Erzählung dauern diese Fasten jedoch acht Wochen, und das
Kalb ist für achttausend Gulden verkäuflich. Hundert Arme
betteln bei Giovanni um Fleisch, während im Isländischen nur
von zwanzig Leuten die Rede ist. Fünfundzwanzig verdächtige
Jünglinge werden vom Dogen in den Palast eingeladen und
müssen in der Nacht im gleichen Saale mit der schönen Dogen-
tochter schlafen. Der Fürst hingegen ladet alle Männer zwischen
achtzehn und vierzig Jahren zu einem Gastmahl und weist
ihnen nachher, wie sie betrunken sind, einen gemeinsamen
Schlafsaal an, ohne daß sie jedoch wissen, daß von hier aus
die Tochter des Gastgebers zu erreichen ist. Die Dogentochter
schwärzt dem zu ihr Kommenden das Gesicht, und Richard
versieht darum alle im Saale ebenso wie sich selber mit einer
beliebigen Anzahl von Strichen. Die Tochter des Fürsten
zeichnet Rikkur dreimal mit einem roten Striche, infolgedessen
bekommen auch alle übrigen von ihm drei Striche ins Gesicht
gezeichnet.

Dies sind die nebensächlichen Züge, in denen beide
Schwanke voneinander abweichen, und die sich nur durch die
immer etwas ungenaue mündliche Überlieferung erklären lassen.
Denn wenn der isländische Erzähler (aller Wahrscheinlichkeit
nach ein alter Sattelmacher, namens Jön, aus der Rángárvalla-
sýsla) den doch seltenen Pecorone des Ser Giovanni in irgend
einer Übersetzung vor Augen gehabt hätte, würde er seine
Vorlage genauer wiedergegeben haben. Eine andere Frage
ist freilich noch die, ob beide Erzählungen nicht unabhängig
voneinander einer gemeinsamen Quelle gefolgt sind. Denn
auch die italienische Vorlage weist — soweit ich es nach
Köhlers kurzer Inhaltsangabe beurteilen kann — zwei Züge
auf, die verraten, daß die Erzählung ursprünglich an einem
andern Orte wie gerade Venedig gespielt haben muß. Der
Leichnam des Vaters wird „durch die Straßen" geschleppt,
und die zwölf Lastträger, die den Leichnam vom Galgen rauben
sollen, werden vom Sohne des Diebes zu Pferde angeführt. —
Beides doch Züge, die in Venedig nicht gut am Platze er-
scheinen. — Was den Namen des Listigen, „Rikkur", anbetrifft,
so könnte er ganz gut aus Ricardo verstümmelt worden sein.
Er findet sich sonst nicht im Isländischen, wenigstens weist
der Artikel „Um Islenzk mannanöfn" (Safn til sögu Islands og
fslenzkra bökmenta III 4 S. 659 ff.) nur die aus dem Deutschen
gebildete Form Rikkard nach.

aus Adeline Rittershaus: Die neuisländischen Volksmärchen. Ein Beitrag zur vergleichenden Märchenforschung, Halle 1902, S. 451ff

Tilberg 11:21, 16. Jul. 2022 (CEST)

[Bearbeiten] Meisterdieb in Venedig

Und hier der Text dieser oben von Rittershaus kurz wiedergegebenen Novelle von Ser Giovanni: (https://www.projekt-gutenberg.org/floerkeh/liebesno/chap003.html)

Ser Giovanni Fiorentino

Über ihn ist so gut wie nichts bekannt, er war wahrscheinlich Notar und schrieb seine Novellen – den Pecorone –, wenn man dem einleitenden Gedicht glauben darf, von 1378 an.

Der Baumeister und sein Sohn, der Meisterdieb, die 1. Novelle des 9. Tages. Nach der Übersetzung von A. Keller bearbeitet. Die älteste Quelle dieser Novelle ist bei Herodot II, Kap. 121 (Das Schatzhaus des Königs Rampsinit).

Der Baumeister und sein Sohn, der Meisterdieb

In der hochedlen Stadt Venedig lebte einst ein Doge, der ein hochherziger, weiser und reicher Mann war und vorsichtig und klug in allen Stücken, mit Namen Messer Valeriano di Messer Vannozzo Accettani. Bei der Hauptkirche zu Sankt Markus in Venedig war ein Glockenturm, der schönste und reichste, den es geben konnte und der Hauptstolz Venedigs zu jener Zeit. Dieser Turm war nun aber auf dem Punkte einzustürzen wegen einiger Fehler in den Fundamenten. Deshalb ließ der Herr Doge in ganz Italien nachforschen und ausschreiben, wer es übernehmen wolle, besagten Turm auszubessern, möge zu ihm kommen, er solle Geld bekommen, soviel er zu fordern und zu verlangen Lust habe. Da entschloß sich ein wackerer florentinischer Meister namens Bindo, welcher zu Florenz wohnte und vernahm, wie es mit dem Turme stehe, das Unternehmen zu wagen, brach also mit seinem Sohne und seiner Frau von Florenz auf und ging nach Venedig. Als er den Turm sah, nahm er sich vor, ihn auszubessern, ging zum Dogen und sprach: »Gnädiger Herr, ich komme hierher, um Eurem Turme zu helfen.« Darüber erwies ihm der Doge große Ehre und sagte unter vielem anderen: »Lieber Meister, ich bitte Euch, beginnt nur Eure Arbeit so bald als möglich! Ich will auch zusehen.« »Das soll geschehen, gnädiger Herr«, versicherte der Meister. Und sogleich ordnete er die Arbeit an, und durch großen Fleiß richtete er in kurzer Zeit den Turm dergestalt wieder her, daß er schöner war als zuvor. Das machte nun dem Dogen große Freude, und man gab dem Meister das Geld, das er verlangte, machte ihn zum Bürger von Venedig und verlieh ihm ein reiches Einkommen. Ferner sagte er zu ihm: »Nun sollt Ihr mir einen Palast bauen, welcher eine Kammer enthalte, in die der ganze Schatz und alles Tischgerät der Gemeine von Venedig niedergelegt werden können.« Der Baumeister traf sogleich alle Anstalten, um besagten Palast zu errichten, und machte darein eine Kammer, die schöner und besser gelegen war als alle anderen, in welche der erwähnte Schatz kommen sollte. Dabei brachte er sehr listig und kunstreich einen Stein an, welcher heraus- und hineinging, in der Absicht, in die Kammer nach seinem Gefallen einzudringen; von diesem Eingang aber wußte kein Mensch als er. Als nun der Palast fertig war, ließ der Doge alles kostbare Gerät, mit Gold durchwirkte damastene Stoffe, Tapeten, Bankteppiche, Mäntel und andere Gegenstände und Gold und Silber in Menge in die Kammer bringen. Man nannte dies nun die Schatzkammer des Dogen und der Kommune von Venedig. Sie war mit fünf Schlüsseln verschlossen, deren vier die vier ersten Bürger Venedigs hatten, die dazu beauftragt waren und welche die Kämmerlinge des Schatzes von Venedig hießen; den fünften Schlüssel aber hatte der Doge. So konnte also die Schatzkammer nicht geöffnet werden, außer wenn alle fünf, welche die Schlüssel in Händen hatten, zugegen waren. Als nun dieser Bindo mit seiner Familie in Venedig lebte und Bürger geworden war, fing er an, Aufwand zu treiben und wie ein reicher Mann zu leben; und sein Sohn Ricciardo führte ein verschwenderisches Leben, so daß es ihnen in kurzem an Mitteln für ihren übermäßigen Aufwand fehlte. Da rief der Vater einst bei Nacht seinen Sohn, nahm eine kleine Leiter, ein zu diesem Zweck verfertigtes Eisen und ein wenig Mörtel mit, und so gingen sie zu dem Loche, das der Baumeister so kunstvoll in der Kammer angebracht hatte. Er legte die Leiter an, zog den Stein heraus, schlüpfte in die Kammer und entnahm ihr einen schönen goldenen Becher, der in einem Schranke stand, worauf er sie wieder verließ und den Stein an seine Stelle brachte. Zu Hause angelangt, zerkleinerten sie den Becher und schickten ihn stückweise zum Verkauf in einige lombardische Städte. Auf diese Weise setzten sie das ungeordnete Leben fort, das sie angefangen hatten.

Nun begab es sich, daß ein Kardinal nach Venedig zum Dogen kam, dem man besondere Ehre erzeigen wollte; und so mußte man die Kammer öffnen wegen des darin befindlichen Gerätes, Silberzeuges, Tapeten und anderer Dinge. Als man sie nun aufmachte und die besagten Gegenstände herausnahm, vermißte man den Becher. Darüber entstand nun unter den Verwaltern der größte Lärm, und sie gingen zum Dogen und sagten ihm, daß man den Becher nicht mehr sehe. Der Doge verwunderte sich und sagte: »Das müßt ihr untereinander ausmachen.« Und nach langem Hin- und Herreden befahl er ihnen, von der Sache nichts zu sagen, noch etwas deshalb vorzunehmen, bis der erwartete Kardinal wieder abgereist sei. Und so geschah es auch.

Der Kardinal kam, und es wurde ihm große Ehre erwiesen; als er aber fort war, sandte der Doge nach den vier Kämmerlingen und verlangte nun zu wissen, wo der Becher hingekommen sei. Er befahl ihnen, nicht eher aus dem Palast zu gehen, bis der Becher wiedergefunden sei, und sprach: »Ihr habt es allein zu verantworten.« Die vier Männer traten zusammen und besannen sich, wußten sich aber auf keine Weise zu erklären, wie der Becher fortgekommen sei. »Überlegen wir«, sagte einer von ihnen, »ob man in die Kammer auch auf anderem Wege gelangen kann als durch die Tür.« Sie schauten umher, erblickten aber nirgends eine Öffnung. Um sich aber genauer zu überzeugen, ließen sie die Kammer mit feuchtem Stroh füllen, zündeten es an und verschlossen die Tür und die Fenster, damit der Rauch nicht hinaus könne. Als nun das feuchte Stroh brannte, entstand ein so dichter Qualm, daß er durch die Fugen jenes Steines hinausdrang. So merkten sie denn, von welcher Seite der Schaden kam, gingen zum Dogen und sagten ihm, wie die Sache stehe. »Haltet es geheim«, sagte dieser, »dann können wir den Dieb über der Tat ertappen.« Dann ließ er einen Kessel mit Pech in der Kammer unter dem Loche aufstellen und darunter Tag und Nacht ein Feuer unterhalten, so daß das Pech beständig sott.

Als nun das aus dem Pokal erlöste Geld zu Ende war, gingen der Meister und der Sohn eines Nachts wieder an die Öffnung, nahmen den Stein heraus, und der Meister stieg hinein und fiel in den immer siedenden Kessel. Als er nun bis zum Gürtel im Kessel stand und nicht mehr loskommen konnte, hielt er seinen Tod für gewiß. Er faßte daher schnell seinen Entschluß, rief seinen Sohn und sprach: »Mein Sohn, ich bin des Todes; darum schneide mir den Kopf ab, damit der Betrug nicht entdeckt werde, und nimm den Kopf mit dir und verscharre ihn an einem Orte, wo er nicht gefunden wird! Tröste deine Mutter und suche auf eine vorsichtige Weise davonzukommen! Und wenn dich jemand nach mir fragt, so sage, ich sei in Geschäften nach Florenz gegangen.«

Der Sohn fing an, zu weinen und jämmerlich zu klagen, schlug sich an die Brust und rief: »Wehe, mein Vater!« Der Vater aber sagte: »Mein Sohn, es ist besser, es stirbt einer, als zwei, und darum tu, was ich dir sage, und eile!« Da schnitt der Sohn dem Vater den Kopf ab und trug ihn hinweg, der Rumpf aber blieb im Kessel und sott in dem Peche dermaßen, daß das Fleisch sich ganz ablöste und er wie ein Skelett wurde. Der Sohn kehrte heim und begrub den Kopf des Vaters, so gut er es vermochte, und dann sagte er es der Mutter. Als sie nun eine große Wehklage erheben wollte, kreuzte der Sohn die Arme über der Brust und sagte: »Wenn Ihr Lärm macht, sind wir in Gefahr, ums Leben zu kommen; darum, liebe Mutter, seid besonnen!« Damit brachte er sie zur Ruhe. Am folgenden Morgen wurde der Leichnam gefunden und zum Dogen gebracht, welcher sich über diese Sache außerordentlich verwunderte; und da er sich nicht denken konnte, wer es sei, sprach er: »Weil hier offenbar zwei im Spiele sind, wollen wir, nachdem wir den einen gepackt haben, nun auch den anderen packen.« Da sagte einer der vier Verwalter: »Ich habe einen Gedanken, nämlich folgenden: es ist nicht möglich, daß er nicht Weib oder Kinder oder sonstige Verwandte in dieser Stadt habe; lassen wir daher den Körper durch die ganze Stadt schleppen und schicken Wachen mit, daß sie beobachten, ob jemand weint oder jammert; und wenn jemand dabei betroffen wird, so soll man ihn verhaften und verhören. Auf diese Weise werden wir wohl den Mitschuldigen finden.« So wurde es beschlossen, und sie ließen den Körper in der ganzen Stadt umherschleifen, gefolgt von Wachen. Als sie nun an sein Haus kamen, trat die Frau ans Fenster, und als sie den Leichnam ihres Gatten so mißhandeln sah, stieß sie einen heftigen Schrei aus. Da rief der Sohn: »Wehe, meine Mutter, was macht Ihr?« Er war aber schnell besonnen, ergriff ein Messer, schnitt sich in die Hand und brachte sich eine große Wunde bei. Sowie die Wachen den Schrei vernahmen, den die Frau ausstieß, liefen sie in das Haus und fragten die Frau, was sie habe. Der Sohn antwortete: »Ich habe mit diesem Messer geschnitten und mich an der Hand verletzt. Deswegen hat meine Mutter einen Schrei ausgestoßen, im Glauben, ich hätte mich schlimmer verwundet, als es geschehen ist.« Als die Wachen die Hand bluten und die Wunde sahen, und was sich begeben hatte, glaubten sie es ihm und zogen im ganzen Bezirk umher, ohne jemanden zu finden, der sich darüber auch nur erregt gezeigt hätte. Sie kehrten also unverrichteter Dinge zum Dogen zurück, und man faßte nun den Entschluß, den Leichnam auf dem Markte aufzuhängen und gleichfalls – aber im verborgenen – Wachen dazu zu stellen, damit sie Tag und Nacht aufpaßten, ob jemand komme, um den Toten zu bejammern oder zu beweinen. So wurde er auf dem Platze an den Füßen aufgehängt und die Wachen verborgen postiert, um Tag und Nacht achtzugeben, ob niemand käme, ihn zu beweinen oder zu bejammern. Es verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, der Leichnam sei auf dem Platze aufgehängt, und viel Volks ging hin, um ihn zu sehen. Als nun die Frau davon hörte, sagte sie oftmals zu ihrem Sohne, es sei dies für sie die größte Schmach, daß der Vater auf diese Weise aufgehängt sei. Der Sohn antwortete: »Liebe Mutter, seid um Gottes willen ruhig; daß sie so mit dem Leichnam verfahren, geschieht nur, um mich zu erwischen. Habt nur eine Weile Geduld! Dieses Mißgeschick wird auch vorübergehen.« Die Mutter aber konnte es nicht aushalten und sagte mehrmals: »Wäre ich ein Mann, wie ich ein Weib bin, so müßte ich ihn nicht jetzt erst abnehmen; und wenn du ihn nicht herunternimmst, so gehe ich selbst einmal bei Nacht hin.« Als der Jüngling den festen Entschluß seiner Mutter sah, besann er sich, wie er den Leichnam losmachen könne. Er kaufte also zwölf schwarze Mönchskutten, ging eines Abends an den Hafen, holte sich zwölf Lastträger und führte sie durch eine Hintertür seines Hauses in eine kleine Stube, wo er ihnen zu essen und zu trinken gab, soviel sie Lust hatten. Und als er sie gehörig in Weinlaune versetzt hatte, zog er ihnen die Mäntel an, band ihnen Masken vors Gesicht und gab jedem eine brennende Fackel in die Hand, wodurch sie ein Aussehen bekamen wie Teufel aus der Hölle, so sehr waren sie durch diese Larven entstellt. Er selbst stieg auf ein Pferd, ganz in Schwarz gehüllt, und die Pferdedecke war voller Haken, und an jedem Haken war eine brennende Kerze befestigt; vor das Gesicht aber hatte er eine abenteuerliche Maske gebunden. So stellte er sich an ihre Spitze und sagte zu ihnen: »Tut, was ihr mich werdet tun sehen.« So begaben sie sich nach dem Platze, auf welchem der Leichnam aufgehängt war, und rannten auf dem Platze hin und her. Es war Mitternacht vorüber und die tiefste Finsternis. Als nun die Wachen diese seltsame Erscheinung sahen, fürchteten sie sich und meinten, es seien böse Gespenster aus der Hölle und der auf dem Pferde mit der greulichen Gestalt sei der alte Luzifer selber. Als sie ihn daher auf den Galgen zukommen sahen, liefen sie in großer Angst davon. Er nahm den Leichnam, legte ihn über den Sattelbogen und jagte der Gesellschaft voraus seinem Hause zu. Dort gab er ihnen Geld, zog ihnen die Kutten aus und schickte sie weg, worauf er den Leichnam, so heimlich er konnte, verscharrte. Am Morgen wurde dem Dogen berichtet, der Leichnam sei abgenommen. Der Doge sandte nach den Wachen und wollte wissen, wo der Leichnam hingekommen sei. »Gnädiger Herr«, sagten die Wächter, »heute nacht, es war Mitternacht vorüber, da kam eine große Schar von Teufeln, und unter ihnen sahen wir deutlich den alten Luzifer, der wahrscheinlich diesen Leichnam gefressen hat. Wir sind daher geflohen, als wir eine solche Heeresmacht wegen des Körpers ankommen sahen.« Der Doge sah klar, daß hier ein Trug dahinterstecke, und wurde nur um so begieriger, zu erfahren und zu erkunden, wer der Täter sei. Er hielt daher einen geheimen Rat, worin beschlossen wurde, es dürfe zwanzig Tage in Venedig kein frisches Fleisch verkauft werden. Es geschah, und jedermann wunderte sich über diese Bestimmung. Dann ließ er ein sehr schönes Milchkalb schlachten und aushauen zu einem Florin die Libbra und trug dem Verkäufer auf, achtzuhaben auf alle, die davon holten; denn er dachte bei sich so: gemeiniglich sind die Diebe gelüstig; so wird sich denn auch dieser nicht enthalten können, davon zu holen, und die Ausgabe von einem Florin auf das Pfund sich nicht gereuen lassen. Er ließ also bekanntmachen, wer Fleisch wolle, solle auf den großen Platz kommen. Alle Kaufleute und Edelleute kamen um des Milchkalbs willen; da man aber hörte, daß ein Gulden für die Libbra verlangt wurde, nahm niemand davon. Die Kunde verbreitete sich durch die Stadt und kam auch der Mutter Ricciardos zu Ohren. Da sprach sie zu ihrem Sohne: »Es gelüstet mich nach einem Stückchen von diesem Kalbfleisch.« Ricciardo antwortete: »Liebe Mutter, eilt nicht so, laßt erst andere den Anfang machen! Dann will ich Euren Wunsch erfüllen und Euch davon verschaffen. Aber ich möchte nicht der erste sein, der davon nimmt.« Die Mutter indes, die eine unbesonnene Frau war, beunruhigte ihn fortwährend mit ihren Wünschen, und aus Besorgnis, sie möchte am Ende einen anderen hinschicken und kaufen lassen, bestellte er eine Pastete und verschaffte sich eine Flasche mit Opium gemischten Wein, und als es Nacht war, machte er sich einen Bart und eine Kapuze und ging an den Ort, wo das Kalbfleisch verkauft wurde. Noch war das Kalb ganz unangegriffen, und als er gepocht hatte, fragte einer der Wächter: »Wer bist du?« Ricciardo entgegnete: »Könnt Ihr mir wohl sagen, wo ein gewisser Glück wohnt?« Einer von ihnen fragte weiter: »Was für ein Glück?« Ricciardo antwortete: »Seinen Geschlechtsnamen weiß ich nicht; Gott verdamm' mich, daß ich mit ihm zu tun haben mußte.« »Wer schickt dich denn?« fragte ihn ein anderer. »Seine Frau«, versetzte Ricciardo, »sie gab mir die Sachen da, um sie ihm zu überbringen, daß er zu Nacht speise. Aber tut mir doch den Gefallen und hebt sie mir auf, damit ich nach Hause gehe und Genaueres über seinen Aufenthalt erfahre. Ihr dürft Euch nicht wundern, daß ich es nicht weiß; ich bin erst seit kurzem hier.« Da ließ er ihnen die Pastete, das Brot und den Wein und tat, als ob er wegginge, indem er sagte: »Ich komme gleich wieder.« Sie nahmen diese Sachen, und einer von ihnen sagte: »Schau' doch, Glück ist freilich diesen Abend bei uns eingekehrt!« So setzte er die Flasche an den Mund und trank, reichte sie dann seinem Kameraden und sprach: »Zieh! Du hast noch nie besseren getrunken.« Der Kamerad trank, und während sie über den Vorfall plauderten, schliefen sie ein. Ricciardo, der an der Ritze der Tür lauschte, trat, sobald er sie schlafen sah, herein, nahm das Kalb, trug es ganz nach Hause und sagte zu seiner Mutter: »Nun schneidet Euch herunter, soviel Euch gelüstet!« Er zerlegte das Kalb, und die Mutter kochte davon eine große Schüssel voll. Sobald der Doge erfuhr, daß das Kalb gestohlen sei, und auf welche Art man sich bei dem Diebstahl benommen habe, wunderte er sich sehr und nahm sich fest vor, herauszubringen, wer es getan. Er ließ daher hundert arme Leute kommen, schrieb alle namentlich auf und sprach dann zu ihnen: »Geht in alle Häuser Venedigs und tut, als fordertet ihr Almosen, gebt aber acht, ob ihr in keinem Hause Fleisch kochen oder eine große Pfanne am Feuer seht, und seid so zudringlich, daß ihr nicht nachlasset, bis man euch Fleisch oder Brühe gibt. Wer von euch mir solches bringt, dem lasse ich zwanzig Florinen ausbezahlen.« Als nun die hundert Taugenichtse sich in der Stadt umher zerstreuten, um Almosen zu fordern, verfiel wirklich auch einer von ihnen auf das Haus dieses Ricciardo, und als er hinaufkam, sah er deutlich das Fleisch, das jene kochten, und erbat sich um Gottes willen ein Stückchen davon. Die Frau, welche ihre Fülle betrachtete, war unvorsichtig genug, ein Schnitzelchen abzugeben. Der Bettler dankte ihr und sprach: »Ich will Gott für Euch bitten.« So eilte er die Treppe hinunter. Ricciardo aber begegnete dem Armen auf der Treppe, und als er sah, daß er von dem Fleische in der Hand hielt, sprach er zu ihm: »Komm wieder mit herauf, ich will dir mehr geben.« Der Bettler stieg mit hinauf, Ricciardo aber führte ihn in eine Kammer, schlug ihn mit einem Beil auf den Kopf, und als er ihn getötet hatte, warf er ihn in den Abtritt und schloß das Haus. Am Abend kamen alle die Bettler zum Dogen zurück, wie sie versprochen hatten, und jeder von ihnen sagte, er habe nichts finden können. Der Doge ließ sie zählen und sich namentlich ausweisen; da fand er, daß einer fehle, wunderte sich, merkte aber gleich, woran er war, und sagte: »Der ist gewiß umgebracht worden.« Er versammelte den Rat und sprach: »Ich muß fürwahr wissen, wer das ist.« Da sagte einer der Räte: »Gnädiger Herr, Ihr habt es versucht mit dem Laster der Gefräßigkeit, versucht es auch mit dem Laster der Wollust!« Der Doge sprach: »Wer mehr weiß, tue auch mehr!« Es wurden also fünfundzwanzig Jünglinge der Stadt aufgeboten, die durchtriebensten und listigsten und die, welche der Doge am meisten im Verdacht hatte, und einer darunter war dieser Ricciardo. Als sie nun im Palaste behalten wurden, wunderten sie sich, und einer sagte zum anderen: »Warum behält uns denn der Doge hier?« Sofort ließ der Doge in einem Saale fünfundzwanzig Betten aufschlagen, von denen jeder dieser Jünglinge eines zum Schlafen bekam. Mitten im Saale aber ließ er ein prächtiges Bett errichten, in dem seine Tochter schlief, die das schönste Geschöpf von der Welt war. Und jeden Abend, sobald die Jünglinge schlafen gegangen waren, kamen die Kammerfrauen und brachten die Tochter des Dogen zu Bett. Der Vater aber hatte ihr eine Schale mit schwarzer Farbe gegeben und gesagt: »Wer zu dir ans Bett kommt, dem bestreiche das Gesicht, damit man ihn erkennt.« Darüber wunderte sich ein jeder, und keiner wagte, zu ihr zu gehen, denn er dachte: das ist fürwahr eine ernsthafte Geschichte. Ricciardo aber beschloß bei sich, einmal eine Nacht mit ihr zuzubringen, und als Mitternacht vorüber war und er sein Gelüste nicht mehr bändigen konnte, stand er ganz leise auf, ging an das Bett, in welchem sie lag, legte sich ihr zur Seite und fing an, sie zu umarmen und zu küssen. Das Mädchen erwachte, tippte sogleich mit dem Finger in die Schale und bestrich Ricciardos Gesicht, ohne daß er etwas merkte. Als er nun mit dem fertig war, weshalb er gekommen, und das gewünschte Vergnügen genossen hatte, kehrte er in sein Bett zurück und dachte bei sich: »Was hat das zu bedeuten? Was für eine List steckt wohl dahinter?« Nach einer Weile deuchte ihm die Kost schmackhaft, er bekam daher Lust, zu dem Mädchen zurückzukehren, und so tat er denn auch. Als er denn bei diesem Engel des Paradieses lag, kam sie zu sich, bestrich ihn und rieb ihm die Farbe ins Gesicht. Als Ricciardo das merkte, nahm er die Schale, die auf dem Kopfbrett der Bettstelle stand, ging damit überall umher und bestrich die anderen, die in den Betten lagen, ganz sanft, so daß keiner es merkte. Dem einen gab er zwei Striche, dem anderen sechs, dem dritten zehn und sich selbst vier weitere, außer den zweien, die ihm das Kind gemacht hatte. Dann setzte er die Schale wieder an das Kopfende des Bettes, verschaffte dem Mädchen unter großem Genusse einige Kurzweil und kehrte darauf in sein Bett zurück. Am Morgen kamen zeitig die Kammerfrauen an das Bett des Mädchens, um sie ankleiden zu helfen, und geleiteten sie darauf zum Herzog, der sie fragte, wie es gegangen sei. »Gut«, sagte die Tochter, »denn ich habe getan, was Ihr mir aufgetragen. Es ist allerdings einer dreimal zu mir gekommen, und jedesmal habe ich ihn beschmiert.« Der Doge sandte gleich nach den Männern aus, mit denen er sich beraten, und sagte: »Ich habe den guten Freund erwischt und darum habe ich zu euch geschickt; wir wollen miteinander hingehen und nachsehen.« Sie gingen in den Saal und beschauten bald diesen, bald jenen, und da sie alle beschmiert sahen, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus. »Fürwahr«, sagten sie, »das ist der größte Schlaukopf, den man je gefunden hat.« Nur zu gut merkten sie, daß einer die anderen alle beschmiert hatte. Als nun einer wie der andere von diesen Jünglingen sich beschmiert sah, hatten sie untereinander den größten Jubel und Spaß darüber. Der Doge verhörte sie allesamt, und da er nicht ausforschen konnte, wer es gewesen, entschloß er sich dennoch, es herauszubringen. Er versprach also dem, der es gewesen sei, seine Tochter mit einer reichlichen Mitgift zur Ehe, dazu volle Verzeihung, da es nur ein Mann von schärfstem Verstande sein könne. Als nun Ricciardo den Entschluß des Dogen sah und vernahm, ging er insgeheim zu ihm und vertraute ihm alles von Anfang bis zu Ende. Der Doge umarmte ihn und vergab ihm, und unter großen Feierlichkeiten wurde ihm seine Tochter angetraut. Ricciardo faßte wieder Mut und wurde ein so hochherziger, wackerer und tüchtiger Mann, daß fast die ganze Staatsverwaltung in seine Hand kam. So lebte er noch lange in Frieden und geliebt von der ganzen Bürgerschaft Venedigs.

aus Hanns Floerke (Hg.): Liebesnovellen der italienischen Renaissance, München 1918

Tilberg 11:30, 16. Jul. 2022 (CEST)

Die Fassung des Märchens ATU 1525 hier bei Ser Giovanni um 1378 kennt also schon das Motiv mit den aufgeklebten Kerzen ATU 1740, allerdings nicht auf Krebsen, sondern auf Haken, die an einer Pferdedecke befestigt sind (wie soll man sich das vorstellen?). Dabei ist ATU 1740 allerdings an einer früheren Stelle in ATU 1525 eingebaut worden, denn hier gibt es die Probe mit der Entführung von Pfarrer&Küster nicht. Stattdessen finden sich die Lichter nun bei der List des Diebs, als er den Leichnam seines Vaters rettet, und dort mit dem ursprünglichen Vorgehen - dem Betrunkenmachen der Wachen - seltsam verknüpft (nicht die Wachen werden betrunken gemacht, sondern seine Gehilfen). Wie die Novelle mit dem Grimm/Stertzing-Märchen zusammenhängt, ist allerdings rätselhaft, denn a) ist ATU 1740 im Märchen an einer späteren Stelle und b) wesentlich klarer erkennbar und nicht seltsam verballhornt wie in der Novelle. Zudem sind diese beiden Texte die mir bisher einzig bekannten Verknüpfungen von ATU 1525 und 1740. Sämtliche anderen Fassungen von ATU 1525 in Renaissance und früher Neuzeit haben ATU 1740 nicht! Könnte die eigentlich durchaus naheliegende Verbindung dieser zwei Trickster-Motive in ein- und demselben Märchen vielleicht zweimal passiert sein? Irre!
Außerdem erinnert diese Fassung hier natürlich wesentlich mehr an den Huckepuck-Trick im Mosaik. Haben sich Dräger (und Hegen) also hier doch von einer solchen italienischen Novelle inspirieren lassen und gar nicht vom Grimm'schen Meisterdieb? das könnte sehr gut sein. Die Parallelen zwischen dem Grimm'schen Meisterdieb und Huckepuck sind ja auch nur schwer zu erkennen. Die erzählte Geschichten sind zwar zweifelsfrei verwandt, aber wir müßten schon davon ausgehen, daß Dräger die Grimm-Fassung sehr deutlich umgearbeitet hätte. Falls er stattdessen diese italienische Novelle hier (oder eine andere, die dasselbe Motiv enthält) kannte, was ja gar nicht mal so unwahrscheinlich ist, schließlich spielt die Sache in venedig und er hat ja im Zuge der Runkelserie diverse Bücher und diverse Texte über Venedig zu Rate gezogen, dann hätte er für den Huckepucktrick nicht ganz so viel ändern müssen. Sogar die unterschiedliche Bewertung des Erlebnisses durch die abergläubischen Wachen und den skeptischen Anführer findet sich schon in der Novelle. Spannend! Tilberg 11:56, 16. Jul. 2022 (CEST)
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