Siemens' Lebenserinnerungen
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Die Lebenserinnerungen von Werner von Siemens, erstmals erschienen im Jahre 1892, sind eine Quelle für die Erfinder-Serie des Mosaik von Hannes Hegen, speziell für die beiden Hefte 83 und 84, die Leben und Werk des jungen Siemens schildern. Ob die Lebenserinnerungen unmittelbar oder nur mittelbar über eine weitere Publikation als Vorlage dienten, ist bisher noch nicht bekannt.
Für die MOSAIK-Handlung relevante Passagen in den Lebenserinnerungen
Auf den S. 25-28 schildert Siemens zunächst seine Haftzeit in der Zitadelle Magdeburg. Dabei werden auch eine Magdeburger Chemikalienhandlung erwähnt (offenbar das Vorbild für die Dom-Apotheke in Heft 83) und die Daguerrotypie angesprochen (mit der sich auch Dig und Dag bekanntlich in Magdeburg ausführlich befassten).
Siemens schildert daran anschließend seine erste Zeit in Berlin, die er in der Spandauer "Lustfeuerwerkerei-Abteilung" des preußischen Heeres verbrachte. Das von ihm organisierte Feuerwerk beim Glienicker Schloss dürfte die Inspiration für das Feuerwerk im Charlottenburger Schlosspark aus Heft 84 gewesen sein.
Meine Studien wurden durch ein Ereigniß unterbrochen, welches durch seine Folgen die Richtung meines Lebensganges wesentlich änderte. Die in kleineren Garnisonstädten so häufigen Zwistigkeiten zwischen Angehörigen verschiedener Waffen hatten zu einem Duell zwischen einem Infanterieofficier und einem mir befreundeten Artillerieofficier geführt. Ich mußte dem letzteren als Secundant dienen. Obgleich das Duell mit einer nur unbedeutenden Verwundung des Infanterieofficiers endete, kam es doch aus besonderen Gründen zur Anzeige und zur kriegsgerichtlichen Behandlung. Die gesetzlichen Strafen des Duellirens waren damals in Preußen von einer drakonischen Strenge, wurden aber gerade aus diesem Grunde fast immer durch bald erfolgende Begnadigung gemildert. In der That wurden durch das in Magdeburg über Duellanten und Secundanten abgehaltene Kriegsgericht diese zu fünf, jene zu zehn Jahren Festungshaft verurtheilt.
Ich sollte meine Hast in der Citadelle von Magdeburg absitzen und mußte mich nach der eingetroffenen Bestätigung des kriegsgerichtlichen Urtheils daselbst melden. Die Aussicht, mindestens ein halbes Jahr lang ohne Beschäftigung eingesperrt zu werden, war nicht angenehm, doch tröstete ich mich damit, daß ich viel freie Zeit zu meinen Studien haben würde. Um diese Zeit gut ausnutzen zu können, suchte ich auf dem Wege zur Citadelle eine Chemikalienhandlung auf und versah mich mit den nöthigen Mitteln, um meine elektrolytischen Versuche fortzusetzen. Ein freundlicher junger Mann in dem Geschäfte versprach mir, nicht nur diese Gegenstände in die Citadelle einzuschmuggeln, sondern auch spätere Requisitionen prompt auszuführen, und hat sein Versprechen gewissenhaft gehalten. So richtete ich mir denn in meiner vergitterten aber geräumigen Zelle ein kleines Laboratorium ein und war ganz zufrieden mit meiner Lage. Das Glück begünstigte mich bei meiner Arbeit. Aus Versuchen mit der Herstellung von Lichtbildern nach dem vor einiger Zeit bekannt gewordenen Verfahren Daguerre's, die ich mit meinem Schwager Himly in Göttingen angestellt hatte, war mir erinnerlich, daß das dabei verwendete unterschwefligsaure Natron unlösliche Gold- und Silbersalze gelöst hatte. Ich beschloß daher, dieser Spur zu folgen und die Verwendbarkeit solcher Lösungen zur Elektrolyse zu prüfen. Zu meiner unsäglichen Freude gelangen die Versuche in überraschender Weise. Ich glaube, es war eine der größten Freuden meines Lebens, als ein neusilberner Theelöffel, den ich mit dem Zinkpole eines Daniellschen Elementes verbunden in einen mit unterschwefligsaurer Goldlösung gefüllten Becher tauchte, während der Kupferpol mit einem Louisdor als Anode verbunden war, sich schon in wenigen Minuten in einen goldenen Löffel vom schönsten, reinsten Goldglanze verwandelte. Die galvanische Vergoldung und Versilberung war damals, in Deutschland wenigstens, noch vollständig neu und erregte im Kreise meiner Kameraden und Bekannten natürlich großes Aufsehen. Ich schloß auch gleich darauf mit einem Magdeburger Juwelier, der das Wunder vernommen hatte und mich in der Citadelle aufsuchte, einen Vertrag ab, durch den ich ihm das Recht der Anwendung meines Verfahrens für vierzig Louisdor verkaufte, die mir die erwünschten Mittel für weitere Versuche gaben. Inzwischen war ein Monat meiner Hast abgelaufen, und ich dachte wenigstens noch einige weitere Monate ruhig fortarbeiten zu können. Ich verbesserte meine Einrichtung und schrieb ein Patentgesuch, auf welches mir auch auffallend schnell ein preußisches Patent für fünf Jahre ertheilt wurde. Da erschien unerwartet der Officier der Wache und überreichte mir zu meinem großen – Schrecken, wie ich bekennen muß, eine königliche Cabinetsordre, die meine Begnadigung aussprach. Es war wirklich hart für mich, meiner erfolgreichen Thätigkeit so plötzlich entrissen zu werden. Nach dem Reglement mußte ich noch an demselben Tage die Citadelle verlassen und hatte weder eine Wohnung, in welche ich meine Effecten und Einrichtung schaffen konnte, noch wußte ich, wohin ich jetzt versetzt werden würde. Ich schrieb deshalb an den Festungscommandanten ein Gesuch, in dem ich bat, mir zu gestatten, meine Zelle noch einige Tage benutzen zu dürfen, damit ich meine Angelegenheiten ordnen und meine Versuche beendigen könnte. Da kam ich aber schlecht an! Gegen Mitternacht wurde ich durch den Eintritt des Officiers der Wache geweckt, der mir mittheilte, daß er Ordre erhalten habe, mich sofort aus der Citadelle zu entfernen. Der Commandant hatte es als einen Mangel an Dankbarkeit für die mir erwiesene königliche Gnade angesehen, daß ich um Verlängerung meiner Hast gebeten. So wurde ich denn nach Mitternacht mit meinen Effecten aus der Citadelle geleitet und mußte mir in der Stadt ein Unterkommen suchen. Glücklicher Weise wurde ich nicht wieder nach Wittenberg geschickt, sondern bekam ein Commando nach Spandau zur Lustfeuerwerkerei. Meine bekannt gewordene Erfindung hatte mich in den Augen meiner Vorgesetzten wohl als weniger qualificirt für den praktischen Dienst erscheinen lassen! Die Lustfeuerwerkerei war ein Ueberbleibsel aus der alten Zeit, in der das »Constablerthum« noch eine Kunst war, als deren Krone die Herstellung von Feuerwerken angesehen wurde. Mein Interesse für die mir zugewiesene Thätigkeit war groß; frohen Muthes zog ich gen Spandau und nahm von den für die Lustfeuerwerkerei bestimmten Räumen in der Citadelle Besitz. Meine neue Beschäftigung war in der That ganz interessant, und ich lag ihr mit um so größerem Eifer ob, als der Lustfeuerwerkerei-Abtheilung eine große Bestellung auf ein Feuerwerk zuging, welches am Geburtstage der Kaiserin von Rußland im Parke des Prinzen Karl in Glienicke bei Potsdam abgebrannt werden sollte. Durch die Fortschritte der Chemie waren in jener Zeit die Mittel zur Herstellung sehr schöner farbiger Flammen gegeben, die den alten Constablern noch unbekannt waren. Mein Feuerwerk auf dem Havelsee bei Glienicke brachte mir daher namentlich durch die Pracht der Feuerwerksfarben viel Ehre und Anerkennung ein. Ich wurde zur prinzlichen Tafel gezogen und erhielt die Aufforderung, mit dem jungen Prinzen Friedrich Karl eine Segelwettfahrt zu machen, da das Segelboot, mit dem ich von Spandau nach Glienicke gefahren war, sich durch große Schnelligkeit auszeichnete. Ich besiegte mit ihm auch den späteren Sieger großer Schlachten, der mir schon damals durch sein entschlossenes, thatkräftiges Wesen oder durch seine »Schneidigkeit«, wie man sich heute ausdrückt, in hohem Grade auffiel. Mit dem Abbrennen dieses Feuerwerks war mein Commando zur Lustfeuerwerkerei beendet, und ich wurde zu meiner Freude nach Berlin zur Dienstleistung bei der Artillerie-Werkstatt commandirt. Durch diese Versetzung wurde mein größter Wunsch erfüllt, Zeit und Gelegenheit zu weiteren naturwissenschaftlichen Studien und zur Vermehrung meiner technischen Kenntnisse zu erhalten. |
Auf den Seiten 39-41 erinnert sich Siemens an Ereignisse der Jahre 1845 und folgende, die sich an eine spontane Unterschrift auf einer kirchenpolitischen Resolution anschlossen. Daraus resultierten die Erfindung der Schießbaumwolle, um nicht zu seinem alten Regiment in der Provinz strafversetzt zu werden, und die neue Anstellung in der Pulverfabrik zu Spandau. Alle möglichen Details wie die Situation im Tiergarten, der folgende Artikel gegen das "Muckertum" in der Vossischen Zeitung, das Laboratorium von Professor Erdmann, die Rolle des Kriegsministers Hermann von Boyen mit seinem Gartentest, die Erwähnung des Ersterfinders der Schießbaumwolle, Professor Schönbein aus Basel, die erneute Versetzung nach Spandau u.a. finden sich praktisch 1:1 im MOSAIK wieder. Einige Sachen wurden im MOSAIK natürlich auch gerafft und geändert, und die Erfindung des schrecklich nach j.w.d. klingenden Regimentsstandorts Niederpritzwalde ist ganz den MOSAIK-Autoren zuzuordnen.
Dabei muss allerdings gesagt werden, dass Siemens' Erinnerungen gerade für diese Zeit nicht immer völlig verlässlich sind. Z.B. datiert er den Beginn seiner Zusammenarbeit mit Halske (1847) irrtümlich vor die Tiergartenaffäre (August 1845); auch kann die enge Aufeinanderfolge von Tiergartenaffäre und Schießbaumwollenexperimenten so nicht stimmen, da Schönbein seine Ergebnisse erst 1846 veröffentlichte.
Es war damals eine Zeit großer religiöser und politischer Bewegung in ganz Europa. Diese fand in Deutschland ihren Ausdruck zuerst in der freireligiösen Bewegung, die sich sowohl gegen den Katholicismus wie gegen die streng protestantische, damals zur Herrschaft gelangte Richtung wendete. Johannes Ronge war nach Berlin gekommen und hielt öffentliche Vorträge im Tivolilocale, die von aller Welt besucht wurden und großen Enthusiasmus erregten. Namentlich die jüngeren Officiere und Beamten, die damals fast ausnahmslos liberale Gesinnung hegten, schwärmten für Johannes Ronge.
Gerade als dieser Ronge-Cultus auf seinem Höhepunkte angelangt war, machte ich mit sämmtlichen Officieren der Artillerie-Werkstatt – neun an der Zahl – nach Schluß der Arbeit eine Promenade im Thiergarten. »Unter den Zelten« fanden wir viele Leute versammelt, die lebhaften Reden zuhörten, in denen alle Gesinnungsgenossen aufgefordert wurden, für Johannes Ronge und gegen die Dunkelmänner Stellung zu nehmen. Die Reden waren gut und wirkten vielleicht gerade deswegen so überzeugend und hinreißend, weil man in Preußen bis dahin an öffentliche Reden nicht gewöhnt war. Als mir daher beim Fortgehen ein Bogen zur Unterschrift vorgelegt wurde, der mit theilweise bekannten Namen schon beinahe bedeckt war, nahm ich keinen Anstand, auch den meinigen hinzuzufügen. Meinem Beispiel folgten die übrigen, zum Theil viel älteren Officiere ohne Ausnahme. Es dachte sich eigentlich keiner dabei etwas Schlimmes. Jeder hielt es nur für anständig, seine Ueberzeugung auch seinerseits offen auszusprechen. Aber groß war mein Schreck, als ich am anderen Morgen beim Kaffee einen Blick in die Vossische Zeitung warf und als Leitartikel einen »Protest gegen Reaction und Muckerthum«, und an der Spitze der Unterschriften meinen Namen und nach ihm die mei ner Kameraden fand. Als ich bald darauf – eine halbe Stunde vor Beginn des Dienstes – auf dem Werkstattshofe erschien, traf ich die Kameraden schon alle in großer Aufregung versammelt. Wir mußten fürchten, ein schweres militärisches Vergehen begangen zu haben. In dieser Annahme wurden wir auch bald bestärkt durch das Erscheinen des Commandeurs der Werkstätten, eines braven und höchst liebenswürdigen Mannes, der uns in großer Erregung erklärte, daß wir uns sämmtlich durch diese That zu Grunde gerichtet hätten und ihn selbst ebenfalls. Es vergingen einige sorgenvoll verlebte Tage. Dann kam ein Parolebefehl, daß der Inspecteur der Werkstätten, General von Jenichen, uns eine Cabinetsordre mitzutheilen habe. Die Cabinetsordre lautete zwar streng tadelnd, doch gnädiger als wir zu hoffen gewagt hatten. Der General hielt uns eine längere Rede, in der er uns das Ungehörige und Tadelnswerthe unsrer Handlungsweise auseinandersetzte. Ich war auf den Schluß dieser Rede einigermaaßen gespannt, da ich mit dem General, der ein hochgebildeter und sehr humaner Mann war, einen ganzen Monat lang Kissinger Brunnen getrunken hatte und genau wußte, daß seine Ansichten von den durch uns unterschriebenen eigentlich nicht verschieden waren. »Sie wissen«, sagte der General zum Schlusse, indem er seinen Blick auf mich richtete, »daß ich der Ansicht bin, daß jeder Mann, und namentlich jeder Officier, stets offen seine Meinung sagen soll, Sie haben aber nicht bedacht, daß offen und öffentlich himmelweit verschiedene Dinge sind!« Wir erfuhren bald, daß wir zur Strafe sämmtlich zu unsrer Brigade – oder Regimente, wie es setzt wieder heißt – zurückversetzt werden sollten. Für mich war das ein fast unerträglich harter Schlag, der alle meine Lebenspläne störte und es mir unmöglich machte, weiter für meine jüngeren Brüder zu sorgen. Es galt daher, ein Mittel zu finden, um diese Versetzung zu verhindern. Das war nur durch eine militärisch wichtige Erfindung zu erreichen, die meine Anwesenheit in Berlin erforderte. Die Telegraphie, mit der ich mich schon lebhaft beschäftigte, konnte diesen Dienst nicht leisten, denn es glaubten damals erst Wenige an ihre große Zukunft, und meine Projecte waren noch in der Entwickelung begriffen. Da fiel mir zum Glück die Schießbaumwolle ein, die kurz vorher von Professor Schönbein in Basel erfunden, aber noch nicht brauchbar war. Es schien mir unzweifelhaft, daß sie sich so verbessern ließe, daß sie militärisch anwendbar würde. Ich ging daher sogleich zu meinem alten Lehrer Erdmann, Professor der Chemie an der königlichen Thierarzneischule, trug ihm meine Noth vor und bat ihn um die Erlaubniß, in seinem Laboratorium Versuche mit Schießbaumwolle anzustellen. Er erlaubte es freundlich, und ich ging eifrig ans Werk. Ich hatte die Idee, daß man durch Anwendung stärkerer Salpetersäure und durch sorgfältigere Auswaschung und Neutralisirung ein besseres und weniger leicht zersetzbares Produkt erzielen könne. Alle Versuche schlugen aber fehl, obschon ich rauchende Salpetersäure höchster Concentration verwendete; es entstand immer ein schmieriges, leicht wieder zersetzbares Produkt. Als mir die hoch concentrirte Salpetersäure ausgegangen war, suchte ich sie einmal bei einer Probe durch Zusatz von concentrirter Schwefelsäure zu verstärken und erhielt zu meiner Ueberraschung eine Schießbaumwolle von ganz anderen Eigenschaften. Sie war nach der Auswaschung weiß und fest wie die unveränderte Baumwolle und explodirte sehr energisch. Ich war glücklich, machte bis spät in die Nacht hinein eine ansehnliche Quantität solcher Schießwolle und legte sie in den Trockenofen des Laboratoriums. Als ich nach kurzem Schlafe am frühen Morgen wieder zum Laboratorium ging, fand ich den Professor trauernd unter Trümmern in der Mitte des Zimmers stehen. Beim Heizen des Trockenofens hatte sich die Schießbaumwolle entzündet und den Ofen zerstört. Ein Blick machte mir dies und zugleich das vollständige Gelingen meiner Versuche klar. Der Professor, mit dem ich in meiner Freude im Zimmer herumzutanzen suchte, schien mich Anfangs für geistig gestört zu halten. Es kostete mir Mühe, ihn zu beruhigen und zur schnellen Wiederaufnahme der Versuche zu bewegen. Um elf Uhr Morgens hatte ich schon ein ansehnliches Quantum tadelloser Schießwolle wohlverpackt und sandte es mit einem dienstlichen Schreiben direct an den Kriegsminister. Der Erfolg war glänzend. Der Kriegsminister hatte in seinem großen Garten eine Schießprobe angestellt und, da sie brillant ausfiel, sofort die Spitzen des Ministeriums zu einem vollständigen Probeschießen mit Pistolen veranlaßt. Noch an demselben Tage erhielt ich eine officielle, directe Ordre des Kriegsministers, mich zur Anstellung von Versuchen in größerem Maaßstabe zur Pulverfabrik nach Spandau zu begeben, die bereits angewiesen sei, mir dazu alle Mittel zur Verfügung zu stellen. Es ist wohl selten eine Eingabe im Kriegsministerium so schnell erledigt worden! Von meiner Versetzung war keine Rede mehr. Ich war bald der einzige von meinen Unglücksgefährten, der Berlin noch nicht hatte verlassen müssen. |
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Die Lebenserinnerungen von Werner von Siemens sind eine Quelle für folgende Mosaikhefte
83, 84